Humorkritik | März 2009

März 2009

Gut durchmischt

Zu den mitunter peinlichsten Lektüren, welche die große Literarmaschine hervorzubringen in der Lage ist, gehören die seit mindestens den Achtzigern belegten »Lexika der Jugendsprache«: Nichtjugendliche, die einen Slang auseinanderzunehmen behaupten, den sie a) selbst nicht sprechen, der b) schon zum Zeitpunkt der Drucklegung veraltet ist und der c) meist ein die verschiedenen Subkulturen und Milieus komplett ignorierendes Gemenge unterschiedlichster Stillagen ist – diese Leute also erklären (erwachsenen) Lesern, welch kuriose Blüten das Pflänzlein Sprache gerade treibt. Daß die sich’s aber nach all der Zeit immer noch unverdrossen gefallen lassen, beweist hartnäckig der Pons-Verlag, der Jahr um Jahr eine neue Edition seiner Slangbücher in die Regale stemmt.

Schön, daß es auch anders geht – nämlich im Netz. Da gibt es seit 1999 das »Urban Dictionary« – ein Projekt, das einst mit ähnlichen Standards wie Wikipedia arbeitete und soziologisch orientiert war, mittlerweile aber einem linguistischen Catwalk gleichkommt: Möglichst skurrile Wörter werden samt ihrer Definition erfunden und können vom Publikum bewertet werden. Die meisten entstammen längst nicht der gesprochenen Sprache – Vokabeln wie »shypod« (»when one is hesitant about sharing the contents of his or her iPod«) oder »homobrophobia« (»the fear that your brother will be or is gay«) sind kein Bestandteil irgendeines Slangs oder Szenesprechs, vielmehr blanke Verhöhnung jedes pedantischen Versuchs, »die« Jugendsprache zu katalogisieren und abzuheften.

Während das »Urban Dictionary« immerhin der Form nach noch ein Wörterbuch zu sein behauptet, hat sich das deutsche Pendant »mundmische.de« von jeglichem pseudowissenschaftlichen Getue emanzipiert – und auch von praktisch jeder Form der Qualitätskontrolle. Dafür sind die Vokabeln, die dort »gemischt« (also: erfunden) werden, von einer solch genuin pubertären Freude am Fabulieren bzw. an obszöner Phantasie, daß das Blättern in der Mische einen alten Herrn wie mich begeistern kann. Zwar sind einige der Einträge wenig originelle Synonyme zu Dingen, die sich von selbst erklären (»Joghurtgewehr«, »dochten«), andere hingegen zeugen von echtem Witz: Da gibt es zum Beispiel die »Maurerhandtasche« (das klassische Sixpack), die »Schminkmurmel« (der Kopf einer nicht sehr hellen Frau), ein »Handarbeitsheft« (ein Pornomagazin) und die »Tigerunterhose« (»ist vorne gelb und hinten braun und sollte beizeiten gegen eine Eisbärunterhose gewechselt werden«) – was Mopedlampen sind und was man unter einem Tiefwasserhafen oder einer Aufbockversiegelung versteht, schlagen Sie aber um Himmels willen selber nach! Material genug jedenfalls für viele neue Pons-Unsinnsbücher. Aber wozu Wasser in Dosen kaufen, wenn man an die Quelle gehen kann?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt