Vom Fachmann für Kenner | Juni 2007
Non scholae…
H. ging neulich dann doch zum Urologen, weil er gehört hatte, man könne die Prostatavorsorgeuntersuchung auch per Bluttest erledigen. Der Arzt meinte: Ja, Bluttest schon, aber er würde dennoch »eher zur digitalen Untersuchung raten«. Digital, das klang gut in H.s Ohren, weshalb er auch sofort einwilligte. Leider hatte er früher im Lateinunterricht immer Schiffeversenken gespielt, so daß ihm nun, als der Arzt sich schon den Gummihandschuh überzog und ihn aufforderte, sich doch bitte freizumachen, zwar ein schrecklicher Verdacht kam, aber leider viel zu spät.
Tibor Rácskai
Vaterschaftstest
Seit die Kindergärtnerin meinem Sohn »Aufmerksamkeitsschwäche« und »soziale Unverträglichkeit«, dafür aber auch eine »unterdurchschnittliche Intelligenz« bescheinigt hat, weiß ich wenigstens, daß das Kind von mir ist.
Lino Wirag
Wem die Stunde schlägt
Wenn man in den neuen Bundesländern im Auto unterwegs ist, im Radio »Ostseewelle Hitradio Mecklenburg-Vorpommern« hört und dort ein freundlich klingender Moderator mit sanfter Stimme Werbung für das sogenannte »Mitternachtsshoppen bis 23 Uhr« macht, dann weiß man, daß drüben die Uhren einfach noch ein wenig anders gehen.
Djik Ouchiian
Geschenkidee
Es war nicht aus mir herauszukriegen, was ich mir zum 35. Geburtstag wünschte – meine Gewohnheiten waren mit dem Alter starr und aufwandslos geworden, mein Durst auf Neues gering. Ich wollte weitermachen wie bisher. Dennoch war ich enttäuscht, als ich bis zum Abend des betreffendes Tages nichts von meiner Mutter gehört hatte, und ging in die Kneipe. Dort stellte mir der Wirt, der mich schon lange durch Höhen und Tiefen begleitet, wie immer ein Bier hin und reichte wortlos ein Päckchen über die Theke, das ich neugierig aufriß: Und siehe da, in einem Wechselrahmen sah er ganz schmuck aus, mein Deckel über 137 Euro 20, den meine Erzeugerin am Vorabend bezahlt hatte. Prost, Mutti!
Kolja Klimm
Rührend
»Vor dem Genuß umrühren«, las ich neulich auf dem Deckel meiner Fruchtquarkdose. Nun hatte ich 500 Gramm lang Zeit, darüber nachzudenken, wann ich den Quark umgerührt hätte, wenn ich diesen Hinweis nicht erhalten hätte. Und vor allem, womit!
Uwe Geishendorf
Was bin ich?
Mit den beiden Töchtern (5 und 7) meines Bruders im Stadtbad. Fiese Hitze und vor mir also zwei Kinder mit vom Planschwunsch zerfurchtem Gesicht. Die Schwimmflügel mußten noch aufgepustet werden. Ich wußte nicht, daß man dafür die Ventile am unteren Ende zusammenpressen muß. Mit einer Kugelschreibermine versuchte ich, sie irgendwie durchzustechen. Gott, es war so heiß. Ich wollte das alles nicht. Dann kam’s: »Onkel Jörg, frag doch mal einen Mann!«
Jörg Zimmermann
Die aktuelle Modenschau
Okay, jetzt glaube ich es auch: Es ist ein Trend. Habe heute den ersten Hip-Hopper in Röhrenjeans gesehen.
Volker Surmann
Straßenkunst
Alles war wie immer! Ich ging in die langgezogene Kurve mit der erlaubten Geschwindigkeit und beschleunigte dann, um die Fliehkräfte für die darauffolgende, sacht ansteigende Gerade zu nutzen, die direkt auf mein Heimatdorf zusteuert. Rechts auf dem Grünstreifen ein kleines Holzkreuz mit frischen Blumen. Noch eins. Oh, und noch eins. Das stand beim letzten Mal noch nicht da. Ein Gefühl der Behaglichkeit fiel mich an, es war schön, wieder nach Hause zu kommen. Dann das kleine Waldstück… – – – ????? Was in aller Welt war dieses? Kleine pittoreske Galgen, wie für verbrecherische Zwerge gemacht, säumten den Straßenrand in einem Abstand von zehn Metern. Daran hingen – ja, tatsächlich, CDs. Hei, wie das blitzte und blinkerte. In allen Regenbogenfarben. Mir war ganz weihnachtlich zumute. Ich rieb mir mit der Rechten die Augen, meine neuen schweinsledernen Rallyefahrerhandschuhe fühlten sich gut an. Dann wußte ich es. Ein einheimischer Künstler hatte hier offenbar eine seiner symbolistischen Installationen dem Volke zugänglich gemacht. Ja, genau, eine polemische Variation auf den Niedergang der Musikindustrie war das, auf den Verfall des Trägermediums Compact Disc, und vielleicht sogar eine Mahnung, daß mit der allmählichen Durchsetzung der mp3 das alte, traditionelle, geliebte Albumformat auf dem Spiel stand. Aber vielleicht war das auch schon eine Überinterpretation. Aus dem Augenwinkel sah ich den alten grünen Fendt, der stoisch die Ackerkrume durchpflügte. Ich bremste und hielt am Feldesrand, ich mußte es jetzt genau wissen. Der Bauer sah mich aus leblosen Augen an und zog seine Spur wie mit einem Lineal. Als er auf meiner Seite der Scholle angelangt war, hielt er und grüßte freundlich: »Watt is?«
Ich fragte ihn nach dem Straßenkunstwerk, ob der Künstler ein Einheimischer sei, und was das Werk wohl zu bedeuten habe – und enthielt ihm auch nicht meine noch ganz frische Lesart.
Er sah mich an, als hätte ich seine Lieblingssau von hinten genommen, und fuhr dann kopfschüttelnd wieder an. »Dat is gegen Rehe«, hörte ich ihn noch fluchen, »Männ, Männ, Männ.« Ich stieg dann auch wieder in mein Gefährt, plötzlich froh, damals nicht in diesem Scheißkaff hockengeblieben zu sein.
Frank Schäfer
Nachbarn
An der Supermarktkasse. Ein halbes Dutzend Leute sieht der vor mir stehenden Sonnenbrille mit Frisur drunter beim Einpacken zu. Die Kassiererin zieht die Pfirsiche über den Scanner und meint großmütig: »Och, die sehen ja gar nicht mehr gut aus. Wollen Sie nicht lieber andere nehmen?« Die Kundin, ganz kurz nachdenkend, antwortet: »Ach nein, die sind für meine Nachbarin.« Da guckten wir nicht schlecht.
Alfred Lohmann
Ihre Diagnose, bitte
Ist man, wenn man sich morgens statt Milch aus Versehen Apfelsaft in den Kaffee gießt, schon dement? Oder doch nicht, weil man sofort den Fehler bemerkt und Milch hinterherschüttet?
Nils Heinrich
(Ent)Warnung
Wäre ich Racheengel oder wenigstens Mediziner und bedeutend misanthropischer als ich, also irgend so ein Krüppel und Arsch von verbitterter Nobelpreis-Virologe: ach, was gäbe ich darum, eine neue und fürwahr schröckliche, ja höllische Krankheit zu entdecken und dann blitzschnell auf meinen Namen zu taufen – wobei Drittklassiges wie »Gsella-Welle in Bonn / Impfung zwecklos« mich naturgemäß weniger reizen würde als eins a Spiegel-Titelstories wie: »GSELLA – Ein Kontinent stirbt« oder Plakate namens »Gib GSELLA keine Chance« – furchtbar. Zum Glück hab ich aber weder Ahnung noch den entsprechenden und, eigentlich, hmhm… doch halbwegs kribbeligen Totalhau! So daß alles beim alten bleibt; zumindest vorerst.
Thomas Gsella
Gesundheitstip des Tages
Schmerzende Augen einfach auslöffeln und durch zwei Toffifees ersetzen.
Katharina Adick
Und demnächst in die Oper?
Vor drei Wochen träumte Kollege Michael, daß er bei einem erstklassigen Herrenausstatter Maß nehmen ließ für einen dreiteiligen Anzug. Gestern nacht dann ein neuer Traum: Der Anzug war wie verabredet fertig und paßte perfekt.
Marcel Vega
Glasklar
Meine Brille trage ich nur aus optischen Gründen.
Arno Lücker
Versuch zum Dialog der Kulturen (2)
In einer »Health Bar«.
Ich: »Ich hätte gerne ein Glas Milch.«
Verkäuferin: »No fat oder low fat?«
Ich: »Full fat, bitte.«
Dialog gescheitert.
Heiko Werning
Guter Rat
Frühsommerzeit – Spargelzeit! Aber welches gute Tröpfchen dazu wählen? Freilich ist die Auswahl an feinen Weinen im Supermarkt begrenzt, aber die Qual der Wahl ist ja – o perfide Dialektik! – häufig am höchsten, wenn man keine Ahnung hat. Stehen der Biertrinker und seine Tequilabraut also vor diesem fuck Weinregal und zaudern: Den Grauburgunder für 3,59? Oder den Riesling für 2,79? Bis sich eine Mutti in Freizeitkleidung heranschiebt und unaufgefordert zu einer recht pennerbombenhaften Literflasche Müller-Thurgau zu 1,59 rät: Das, raunt sie, dürfe man natürlich keinem sagen und auch rein gar nicht verschenken, aber so, für den Hausgebrauch, schmecke der, wenn sie uns den Tip geben dürfe, sehr gut, alle ihre Freunde und Bekannten hätten diesen Rat, nach verständlichem anfänglichem Zögern, schließlich befolgt und seien sehr zufrieden.
Wie dankbar ist man für das freundliche Wort einer Unbekannten, gar einen guten Rat, der eine prekäre und fast hoffnungslose Situation in lindes Wohlgefallen auflöst, wertvolle Lebenszeit rettet und überdies die Hoffnung nährt, so abgrundtief am Arsch und unrettbar sei sie gar nicht, diese Welt, solange man sich in den Einkaufsparadiesen noch mit Rat und Tat zur Seite steht und die hochzivilisatorische Anonymität aufzubrechen immerhin imstande und, vor allem, willens ist! Hurra!
Und wie gut, daß der Wein nicht zu trinken, ja geradezu entsetzlich war: So haben wir an dieser Stelle nicht nur frische Hoffnung, sondern auch eine feine Pointe.
Stefan Gärtner
Haushaltstip
Die begrenzte Haltbarkeit von Küchengeräten und -mobiliar war meinem Freund Markus am Telefon kürzlich Anlaß zur ausgedehnten Klage. Im Prinzip habe er in seiner acht Jahre alten Küche vom Herd über die massivhölzerne Arbeitsplatte bis zum Kühlschrank jedes einzelne Teil schon einmal ersetzen müssen. Als ihm aber vor einer Weile auch die zweite Geschirrspülmaschine verreckt sei, habe er zur Entlastung der Haushaltskasse einen weisen Entschluß gefaßt, den er mir hiermit ans Herz legen wolle: »Wenn dir die Spülmaschine schon wieder kaputtgegangen ist, dann kaufst du dir erst mal keine, dann geht sie dir auch erst später kaputt.«
Mark-Stefan Tietze
Theoretischer Alkoholtest
Notorisch finanzschwache Geisteswissenschaftler können jetzt die Anschaffung eines teuren Promilletesters durch diese kleine Übung vollwertig ersetzen:
»Empiriokritizismus« – »Kontiguitätsassoziation« – »Authentizitätsdilemma«.
Wenn man alle diese Worte noch aussprechen kann, ist man noch nicht betrunken. Oder noch nicht betrunken genug, je nachdem. Bei »Phallogozentrismus« hört der Spaß allerdings auf.
Leo Fischer
Haydn
Eine CD aus meiner sehr exklusiven Klassik-Box ist wie folgt bedruckt: »HAYDN SEINE GROSSEN HITS«. Klingt ein bißchen wie »Bernd sein Auto«, die Musik ist aber ganz gut.
Dirk Warnke
Mutmaßung
Wenn man die Zeitungsmeldungen rund um ihren Prozeß studiert, könnte man meinen, daß Paris Hilton Probleme mit kleinen, grauen Zellen hat.
Sascha Dornhöfer
Kein Witz
Anläßlich des 600jährigen Jubiläums der Universität Leipzig entschied sich das beauftragte Komitee, eine Gedenkmünze prägen zu lassen. Das universitäre Motto »Aus Tradition Grenzen überschreiten« soll aber aus Rücksicht auf die polnischen Partneruniversitäten nicht auf der Münze erscheinen.
Axel Grünwald