Inhalt der Printausgabe

Der letzte Mensch

Thomas Goppel

Shades of Pope

Geheimes Verhauen

Frustriert betrachte ich mich im Spiegel. Nein, mit diesem Gesicht kann ich auf keinen Fall los. Noch eine dritte Schicht Selbstbräuner. Aber ich muß das Interview führen, das Interview mit diesem ominösen Mr. Papst, von dem ich noch nie vorher gehört habe. Danke, Jan, daß du mich da reingeritten hast. Mein Spiegel-Freund Jan Fleischhauer hat sich gestern bei einer Kommunistin einen Tripper geholt, und ich muß ihn vertreten. Da schickt der Herr den Goppel aus.

»Du wirst Mr. Papst sofort erkennen«, hat Jan am Telephon gesagt. »Er sieht gut aus, richtig gut. Weißer Wuschelschopf, Adlernase, stahlharte Stützstrümpfe. Er wird dir gefallen.« – »Aber was soll ich ihn fragen, Jan?« – »Nicht zuviel jedenfalls. Er ist ziemlich streng, weißt du.« Na toll. Ich prüfe den Sitz der Lederhose, schließe die Arschklappe und nehme noch einen tiefen Schluck aus dem Parfümfläschchen. Dann springe ich in meinen BMW, den ich noch von Franz Josef Strauß habe, und brettere die A3 Richtung Vatikan runter. Das Kopfkino geht los. Wie wird er sein? Ein sadistischer Geschäftsmann? Ein supernetter Psychopath? Oder eine prickelnde Mischung aus beidem? Und was, wenn ich mich plötzlich in ihn verliebe? Bei einem instabilen Schwachkopf wie mir geht das schnell. Stoiber oder Seehofer – ein Augenaufschlag, und schon fresse ich ihnen aus der Hand.

PAPST HAUS steht in unscheinbaren Zwei-Meter-Lettern auf dem Goldpalast in Vatican City. Livrierte Schweizer führen mich in Mr. Papsts Büro. Unauffällig sehe ich mich um. Alles vom Feinsten: Der Schreibtisch ist mit Plastikfolie bezogen, vom Fensterbrett grüßt mich eine chinesische Winkkatze. Auf dem Bett stapeln sich Satinkissen. Sei nicht nervös, Thomas. Das ist einfach ein katholischer Despot, so wie Vati oder Pinochet. Ein Zetern im Flur wird hörbar. Oh. Mein. Gott. Da ist er. Er trägt einen Bademantel von Prada, in der einen Hand einen Drink, in der anderen ein Mobiltelefon. »Verkaufen, ihr Spatzenhirne!« brüllt er. Unwillkürlich sitze ich kerzengerade. »Und was kann ich für Sie tun, Sie gutaussehender junger Protofaschist?« – »Öhm, ich bin für Jan hier, ich soll…« – »Beichten, natürlich. Das wollen alle. Wie Sie schon ausschauen, haben Sie die Erbsünde mit dem Mutterkuchen aufgegessen.« Wie von selbst ziehe ich mein Jackett aus, merke, wie ich schwitze. Ich komme mir vor wie ein bayerischer Provinztrottel im falschen Bierzelt.

»Aua, aua, aua«, schreie ich. Doch immer wieder saust sein Hirtenstab auf meine Handinnenflächen. »Ich habe doch bloß gefragt, ob Gott mir auch auf dem Klo zusieht.« – »Du Wurm! Du nichtswürdiger Apostat!« geifert Mr. Papst. Winzige Spuckefetzen fliegen mir in die Augen. Die Ketten zerren an meinen Knöcheln, ich trage nur mehr meine König-Ludwig-Unterhose. Nicht das Kerzenwachs! Ein Zwicken im Zwölffingerdarm verrät mir, daß auch der Hamster Angst hat. Angst vor dem, was Mr. Papst als nächstes aus dem Tabernakel zieht. »Diese Kerze habe ich dem Hl. Blasius geweiht!« Das verheißt nichts Gutes. Um mich herum blicken mich Märtyrerbilder an. Blicken neckisch aus ihren Öltöpfen, posieren keß mit ihrer Haut über dem Arm. Und zwischen ihnen, wie ein ein kleiner, verknöcherter Wirbelwind, Mr. Papst, Herr über Schmerz, Entsagung und Ekzeme. Ich will mich einfach nur fallenlassen in diese grausamen, faltigen Arme. In seinen mitleidlosen HJ-Augen sehe ich nichts als Lust und grauen Star. Die Grenzen des Zumutbaren fallen wie die Mauern von Sodom…

Mit Sitzen ist erst mal nichts. Stundenlang stehe ich vor dem Kühlschrank, versuche, meine brennenden Nippel mit Butterpäckchen zu kühlen. Was habe ich da gerade erlebt? War das Sex? Vergewaltigung? Oder eine Erstkommunion wie jede andere auch? Da klingelt das Telefon. »Wer ist da?« – »Setz dich hin. Zieh die Hose aus.« – »Mr. Papst? Sind Sie…« – »Halt den Mund. Du nimmst jetzt die Fernbedienung und schaltest N24 ein. Du siehst dir alle Panzerdokumentationen an, die da laufen. Jedes Mal, wenn du mich irgendwo winken siehst, darfst du dir eine Ohrfeige geben.« – »Danke, Mr. Papst«, hauche ich. Für niemanden sonst würde ich das tun, Sepp. Das wird ein schöner Fernsehabend.

 

Leo Fischer / Michael Ziegelwagner

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mal wieder typisch, Bundespolizei!

Du testest gerade den Einsatz von Tasern, hast Dir in einem vertraulichen Bericht aber eingestehen müssen, dass diese ihre Mannstoppwirkung oder gleich das ganze Ziel gerne mal verfehlen. Ein Grund für das Versagen der Taser ist wohl: eine »offene Softshell-Jacke«. Und das ist ja mal wieder typisch! Wer muss sich um Polizeigewalt in Taserform also keine Sorgen machen? Gutsituierte Krautwurst-Teutonen in ihren ewigen Softshell-Jacken! Komm, Bundespolizei, Rassismus kannst Du doch auch weniger auffällig, weiß aus anders gekleideter Quelle

Deine Titanic

 Und aber apropos, brigitte.de!

»Diese Angewohnheit schadet deinem Gehirn mehr, als du denkst« – eigentlich ist uns das als Vorlage zu billig. Aber schwer fällt uns der Verzicht schon!

Gewohnheitsmäßig nicht Deine Titanic

 Bei Dir, »O₂ Surftown MUC«,

handelt es sich um eine künstliche stehende Welle im tiefsten Bayern. Und es ist natürlich nur recht und fair, dass Bayern als Bundesland mit Alpenzugang nun Strandsport anbieten kann, nachdem ja auch durch Skihallen in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen beide Meere mit Deutschlandzugang längst mit Bergsportnähe ausgestattet sind.

Wie viel Energie es kostet, das Wasser für die Wellen und den Schnee jeweils auf die richtige Temperatur und in die entsprechenden Formen zu bringen, ist dabei auch egal, denn letztlich ist die ganze Angelegenheit ja klimafreundlich as fuck: Braucht doch jetzt niemand mehr quer durch Deutschland zu reisen, um einem für die Umgebung untypischen Angeberhobby nachzugehen.

Zur Eindämmung weiterer Kurz- und Fernreisen sind daher sicherlich auch schon die nächsten Naturerlebniswelten in Planung! Wir denken da etwa an die »Saharaworld Schwarzwald«, das »Urwalderlebnis Wattenland«, »Wildwasserkajaktouren am Ku’damm«, »Hochseeangeln in der Sächsischen Schweiz« oder »Indoorparagliding im Zollverein Essen«.

Grüßt Dich hoffnungsvoll aus dem Korallenrifftauchparadies Frankfurt: Titanic

 Hello, »Zeit«!

»Wenn Berlin das New York Deutschlands ist, dann ist München das deutsche Los Angeles«, schreibst Du. Aber wenn München das deutsche Los Angeles ist, ist Hamburg dann auch das deutsche Miami? Und Wolfsburg das deutsche Detroit? Und die Zeit die deutsche New York Post? Und so ein Städtevergleich deutscher Unsinn?

Fragt aus dem deutschen Frankfort (Kentucky) Titanic

 Herzlichen Glückwunsch, lieber Fundus!

Herzlichen Glückwunsch, lieber Fundus!

Die erste Handlung der neugegründeten TITANIC-Redaktion im Jahr 1979, noch vor dem Einrichten, Möbelaufbauen und Bieröffnen, bestand darin, einen Raum zu erkiesen, in dem in Zukunft alle für Fotoromane und Bilderstrecken benötigten Kleidungsstücke und Gegenstände aufbewahrt werden sollten. Dieser füllte sich dann zur großen Verwunderung der Mitarbeiter/innen im Handumdrehen mit geschmacklosen Kleidungsstücken, ausgeleierten Sexpuppen und Naziuniformen unbekannten Ursprungs.

So malt sich zumindest die aktuelle Redaktion heute, 45 Jahre später, Deine Entstehungsgeschichte aus, lieber Fundus! Denn Du bist fürs Büro unabdingbar und wirst von Heftkenner/innen als wichtigster und titanischster Raum der Bundesrepublik gehandelt.

Und das völlig zu Recht: In Dir hängt der edle, von Martina Werner aus der Modemetropole London importierte Leopardenfellmantel (unecht) direkt neben der Kiste mit der dubiosen Aufschrift inklusive seltsamer Anführungszeichensetzung »Brüste, Propellermütze, ›Muslim‹, Jude, Papst, Kippa«. Hier steht die Thermoskanne, aus der beim Öffnen ein Dildo hervorschießt, neben der Kleiderstange mit dem penibel gebügelten Messdienerkostüm.

Hier befindet sich das ekligste Make-up der Welt, das einmal an einem Akne- und Staublungenausbruch bei der gesamten Belegschaft schuld war, als es bei einem der vielen gescheiterten Aufräumversuche herunterfiel und in alle Atemwege und Poren gelangte. Hier steht der Kistenstapel, dessen unterster Karton mit »Frauke Petry« beschriftet ist, der darüber mit »Clown«, und den obersten ziert die Aufschrift »Pferd«. Und nur hier liegt die SS-Uniform herum, die schon im Stuttgarter Haus der Geschichte bewundert werden konnte.

Nicht nur stehst Du für die geniale Dialektik der (alten) TITANIC, Du fungierst auch als Seismograf des Zeitgeistes: Die immer größer werdende Verklemmtheit der Redaktion lässt sich daran ablesen, dass das in Versalien geschriebene »Sex« auf dem ehemaligen Sexkarton mittlerweile durchgestrichen ist. Stattdessen befinden sich in der Kiste laut Aufschrift »Wolle, Seile, Kordel, Nähzeug«. O tempora! Auch Deine Unordnung, in der sich selbst die erfahrensten Angestellten nicht zurechtfinden, lässt sich symbolisch verstehen, erinnert sie doch stark an die Gesprächsführung während einer durchschnittlichen Titelkonferenz.

Du hast schon viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, Fundus: Du wurdest für die Vice abgelichtet und im Musikexpress abgebildet – im Grunde hast Du alles erreicht!

Nur eines fehlte Dir – bis jetzt: eine Laudatio von Deiner eigenen Redaktion. Deshalb nun endlich, geehrter Fundus: Alles Gute zum 45jährigen Bestehen! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Schmettert Dir ein kräftiges »Vivat, vivat!« entgegen:

Für immer Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Schattenseite des Longevity-Trends

Ob ich mit fast 60 noch mal Vater werden sollte? Puh, wenn das Kind 100 ist, bin ich schon 160!

Martin Weidauer

 Krass, krasser, Kasse

Wenn ich im Alltag mal wieder einen Kick suche, gehe ich kurz nach Feierabend oder samstags bei einem Discounter einkaufen. Finde ich dort eine richtig lange Kassenschlange vor, stelle ich mich nicht etwa an, sondern lege meine Einkäufe auf die nicht besetzte Kasse daneben. Hier beginnt der Nervenkitzel: Werde ich wie der letzte Idiot erfolglos auf die Öffnung der neuen Kasse warten oder wie ein allwissender Gott über den gewöhnlichen Einkäufern schweben? Mehr Spannung geht nicht. Anfängern rate ich allerdings, sich erst nach dem Schrillen, mit dem im Supermarkt Kollegen gerufen werden, an der leeren Kasse anzustellen. So kann man sich mit ein paar sicheren Erfolgen langsam an das freie Anstellen herantasten.

Karl Franz

 Bibelfest

Ich habe letztens geträumt, dass ich Teil einer christlichen Punk-Band war. Unser größter Hit: »Jesus muss sterben, damit wir leben können«.

David Sowka

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 28.10.:

    Das Schweizer Nachrichtenportal Watson preist den aktuellen Titel der Novemberausgabe im "Chat-Futter" an.

Titanic unterwegs
31.10.2024 Hamburg, Zinnschmelze Ella Carina Werner
01.11.2024 Oschatz, Thomas-Müntzer-Haus Thomas Gsella und Hauck & Bauer
05.11.2024 Sylt, Feuerwache Tinnum Gerhard Henschel
05.11.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview«