Inhalt der Printausgabe

»Ein Job wie jeder andere, aua!«

Er muss herhalten, wenn unsere Volksvertreter sich mal so richtig abreagieren oder ihren intimsten Gelüsten freien Lauf lassen möchten. Dietrich Kappler ist: der Bundestags-Gimp.

»Es war im Herbst 2013, als mir die Stellenausschreibung im hiesigen Amtsblatt ins Auge sprang«, erinnert sich Dietrich Kappler, 59 Jahre alt, mittelgroß, sanfte Stimme, braune Augen, von Kopf bis Fuß in glänzenden Lack gekleidet. »Ich hatte gerade mein Gewerbe aufgegeben und mir eine Auszeit verordnet. Drei Jahre lang hatte ich einen Obstlieferservice im Alten Land geführt, bevor die Konkurrenz zu groß wurde – mittlerweile haben 80 Prozent aller Unternehmen im Alten Land mit dem Vertrieb von Obst zu tun; ganz ehrlich, ich kann keine Äpfel mehr sehen! Jedenfalls hatte die Bundesregierung ein Inserat geschaltet: ›Gesucht wird mit Beginn der nächsten Legislaturperiode eine passive Fetisch-Hilfskraft im Bereich Sadomasochismus (Bundestags-Gimp) mit 30-Stunden-Woche‹.« Noch am selben Tag schickte Kappler seine Bewerbung raus: »Ich steckte mir einen Apfel in den Mund und dachte, och, daran gewöhnt man sich doch. Vorher hatte ich gegoogelt, was ein Gimp überhaupt ist. Ein sehr erhellender Internetbesuch war das …« Wie wohl die meisten Bürgerinnen und Bürger hatte er noch nie etwas von diesem eigentümlichen Beruf gehört.

Im Reichstag werden nicht nur Gesetze durchgepeitscht.

Tatsächlich zählt der Bundestags-Gimp zum nicht-gewählten Personal des Hohen Hauses wie Saaldiener, Stenographen oder Dolmetscher. Eingeführt wurde die Position mit der Neufassung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages von 1980. In deren Anlage 7b sind die Rechte und Pflichten des Gimps, welcher der Unterabteilung Parlamentsdienste (PD) zugeordnet ist und nach Tarif vergütet wird, präzise aufgeführt. »Es sind freilich mehr Pflichten als Rechte. Den Mitgliedern des Bundestags, auch außerhalb der Sitzungswochen, als objektifizierter Lustsklave zur Verfügung stehen, das ist im Wesentlichen meine Aufgabe«, fasst Kappler zusammen. »Verletzungen und Demütigungen habe ich anstandslos zu ertragen, also im Grunde wie die Grünen in der aktuellen Koalition, haha.« Für den Fall der Fälle gebe es dennoch ein Safeword (»Haushaltssperre!«), das bislang allerdings noch nie zum Einsatz gekommen ist.

»Du darfst heute noch einen Pflichtfragebogen ausfüllen.«

Als Dietrich Kappler kurz vor der Konstituierung des 18. Deutschen Bundestages seine Zusage bekam, musste er sich erst einmal setzen: auf eine glühende Metallplatte, das war Teil des Einstellungstests. »Dass es keine anderen Bewerber neben mir gab, hat mich doch erstaunt«, gibt er zu, »die Privilegien und Sonderzulagen sind nämlich nicht ohne: Schmerzensgeld, Apothekengutscheine, Sachleistungen wie Kettenöl, Einlaufsets und Vinylpflegecreme. Zum Dienstjubiläum letztes Jahr habe ich sogar eine Torte bekommen, mit zehn Kerzen darauf, deren heißes Wachs ich mir auf die Zunge tropfen lassen musste.« Besonders erfreulich sei die Pendlerpauschale, die bei Spielarten des sog. Suspension Bondage greift: »Einmal wurde ich während eines Abstimmungsmarathons an der Decke in Volker Kauders Büro vergessen – zwölf Stunden pendeln, das gab einen saftigen Bonus!«

»Alles, bloß keine Debatten!«

Ein normaler Arbeitstag beginnt für Dietrich Kappler mit dem Blick auf seinen Dienstplan: In eine Tabelle an der Tür zu seinem Kerker können die Abgeordneten eintragen, wann sie wo und wie lange welche Gimp-Dienste in Anspruch nehmen wollen. »Ich hoffe, in absehbarer Zukunft funktioniert das online«, seufzt Kappler. »In diesem Bereich hinkt die Digitalisierung hinterher. Das ist ja auch eine Frage des Datenschutzes: Der Terminplan ist für alle einsehbar!« Um anonym zu bleiben, wählen einige MdB Codenamen wie »Klinge & Beil«, »Pudel«, »Milchkanne«, »Sauerland-Dom« oder »Am Tor«. Kappler zufolge bleibe das Gros seiner Kundschaft jedoch beim Klarnamen. Er beobachtet eine allgemeine Enttabuisierung seines Jobs: »Mein Vorgänger hat mir noch von dem Argwohn geklagt, dem er während der Kohl-Jahre ausgesetzt war, regelrechtes Kinkel-Shaming hat er da zu spüren bekommen.« Diese Zeiten seien zum Glück vorbei, durch alle Parteien hinweg habe sich die Toleranz für den anfangs beargwöhnten Mitarbeiter erhöht. »Sogar die sonst von sexueller Normabweichung demonstrativ angewiderte AfD macht oft und gerne von mir Gebrauch«, plaudert Kappler aus dem Nähkästchen. (Das »Nähkästchen« ist eine mit Nadeln, Klammern und Ahlen gefüllte Truhe.) »Beliebt sind bei denen zum Beispiel Rollenspiele wie ›Flüchtling und Grenzschütze‹. Und manchmal ritzen sie mir das Wort ›Verfassung‹ in den Rücken und treten mich mit Füßen. Na ja, jedem Tierchen sein Plaisierchen.«

Maloche nach Stechuhr ist nicht vorgesehen. Gestochen wird in der Regel dennoch pünktlich.

Nippelklemmen vom Modell »Gauweiler« stehen ihm besonders gut.

Welche Praktiken von welchen Anhängern der verschiedenen politischen Ausrichtungen bevorzugt werden, darüber kann Dietrich Kappler keine konkreten Angaben machen. »Mein Gedächtnis funktioniert nicht mehr so gut. Die vielen Stromschläge, Sie verstehen. Tendenzen gibt es, glaube ich, durchaus. Ich weiß jedenfalls sehr genau, was Fraktionsdisziplin bedeutet …« Dass die CDU/CSU auf schwarze Erziehung stehe, während die gelbe FDP ein Faible für »goldene Duschen« hat, weist Kappler als Gerüchte zurück. Unbestreitbar sei jedoch, dass »SPD-Hinterbänkler grundsätzlich die bizarrsten Phantasien haben« und dass »die Damen und Herren vom Bündnis Sahra Wagenknecht ständig verhandeln und diskutieren wollen«, da sei dann schon mal eine Schmerzgrenze erreicht.

Gute Miene zum bösen Spiel: Kapplers Sitzfleisch ist dankbar für fünfeinhalbstündige Fragestunden.

Ob der 59jährige Staatsdiener gelegentlich seine frühere Tätigkeit, seine alte Heimat vermisst? »Wenn mir der Job irgendwann zu viel Spaß machen sollte, kann ich vorzeitig in Rente gehen, mit vollen Bezügen von Lederknutenhieben und mit wenigen Abschlägen auf die Kniescheiben. In Berlin werde ich so oder so bleiben – in dieser Stadt mit ihrer offenen S/M-Szene werden Leute wie ich stets gebraucht.« Für heute ist Feierabend. Dietrich Kappler nimmt sich die Leine vom Hals, reißt ein Loch in die um den Kopf gewickelte Frischhaltefolie, entfernt den Nietengürtel von seinem Hodensack und klappt die Spreizstangen aus nachhaltigem Kastanienholz zusammen, die Steffi Lemke vor kurzem gesponsert hat. Auf den Gängen nicken ihm etliche Abgeordnete anerkennend zu, andere zwinkern wissend, ein paar Fraktionslose rufen »Didiiiii!«.

Für manche ist der Bundestags-Gimp einfach Kult. Instagram-Posts mit ihm haben allerdings keine lange Halbwertszeit.

»Wissen Sie«, sagt dieser nachdenklich, »wenn ich die markante Kuppel hier sehe, dann sehe ich kein Parlament. Ich sehe den demokratischsten Darkroom der Republik.« Piep-piep-piep, macht der Metalldetektor, als Dietrich Kappler auf dem Weg nach draußen hindurchschreitet. »Ups, da hat die Strack-Zimmermann wohl was bei mir hinten drin vergessen.«

 

Torsten Gaitzsch

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Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gut möglich, lieber spiegel.de,

dass es an der drückenden Hitze liegt. Doch wenn wir in Deinem Ratgeber-Artikel »So schützen Sie Ihr Gehirn bei hohen Temperaturen« lesen, wie wir uns im Sommer »gehirngerecht« verhalten können, dann rauchen uns die Köpfe. Haben wir uns unseren Hirnen gegenüber schon häufiger unangemessen aufgeführt? Hätten die grauen Zellen nicht auch von selbst an unser Fehlverhalten denken können? Und vor allem: Ist es jetzt nicht am wichtigsten, unsere Gehirne vor weiterem Spiegel-Konsum zu schützen?

Schließt eiskalt den Browser: Titanic

 Kunststück, »Welt«!

Im Interview mit der Rheinischen Post beschwerte sich Sängerin Cyndi Lauper darüber, dass Frauen ständig auf ihr Alter reduziert würden. Aus diesem Statement hast Du, Welt, nicht nur geschafft, einen ganzen Artikel zu stricken, Du hast auch noch äußerst subtil Deinen eigenen Standpunkt zur Causa klargemacht und Laupers Aussage folgendermaßen zusammengefasst: »Popsängerin Cyndi Lauper hält es für sexistisch, Frauen nach ihrem Alter zu fragen: ›Alter ist eine Kategorie, die benutzt wird, um uns kleinzuhalten‹, sagte die 71jährige.«

Wie clever von Dir! Indem Du das Alter genüsslich anmerkst, hast Du es der meckernden alten Frau aber mal so richtig gezeigt! Andererseits: Es nötig zu haben, aus Interviews anderer Zeitungen Artikel zusammenzukloppen – lässt das nicht Dich und Deinen angeblichen journalistischen Anspruch auch ziemlich alt aussehen?

Fragt Dein greises Kollegium von Titanic

 Tagesschau.de!

»Sei nicht immer so negativ!« wollten wir Dir schon mit auf den Weg geben, als Du vermeldetest: »Juli stellt knapp keinen Temperaturrekord auf«. Auf Schlagzeilen wie »Zehnkämpfer Leo Neugebauer erringt in Paris knapp keine Goldmedaille«, »Rechtsextremer Mob erstürmt im nordenglischen Rotherham knapp kein potentiell als Asylunterkunft genutztes Hotel« oder »19jähriger Islamist richtet bei Taylor-Swift-Konzerten in Wien knapp kein Massaker an« hast Du dann aber doch verzichtet.

Es gibt sie also noch, die positiven Nachrichten.

Vor allem von Titanic

 LOL, Model Anna Ermakova!

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verrieten Sie Ihre sprachlichen Ambitionen: »Ich möchte unbedingt lernen, Witze auf Deutsch zu machen. Ich will die Leute zum Lachen bringen, ohne dass sie nur über mich lachen«. In Deutschland fühlten Sie inzwischen »eine solche Wärme«.

Der war schon mal gut!

Loben die Witzeprofis von Titanic

 Mmmmmh, Iglo-Freibad-Pommes!

Ihr seid ein neues Tiefkühlprodukt, das in diesem Sommer vom grassierenden Retro- und Nostalgietrend profitieren möchte. Daher seid Ihr derzeit auf den großen Plakatwänden im Stadtbild vertreten, und zwar garniert mit dem knusprigen Claim: »Das schmeckt nach hitzefrei«.

Aber schmeckt Ihr, wenn wir uns recht erinnern, nicht ebenfalls nach einem kräftigen Hauch von Chlor, nach einem tüchtigen Spritzer Sonnenmilch und vor allem: nach den Gehwegplatten aus Beton und der vertrockneten Liegewiese, auf welchen Ihr regelmäßig zu Matsch getreten werdet?

In jedem Fall bleibt es Euch weiterhin verboten, vom Beckenrand zu springen, schimpft Eure Bademeisterin  Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

 Zero Punkte für den Underdog

Nach meinem Urlaub in Holstein möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die oft zu Unrecht belächelte Ostsee brechen. Jene, so heißt es, sei eigentlich gar kein richtiges Meer und habe ihre unwürdige Existenz bloß einer brackigen XXL-Schmelzwasserpfütze zu verdanken. Wellen und Brandung seien lächerlich, die Strände mickrig und das Leben unter Wasser mit der Artenvielfalt in einem Löschtümpel vergleichbar. Außerdem habe ein Gewässer, in das man vierhundert Meter hineinschwimmen und danach selbst als Siebenjähriger noch bequem stehen könne, das Prädikat »maritim« schlicht nicht verdient. Vorurteile, die ich nur zu gerne mit fantastischen Bildern und spektakulären Videos widerlegen würde. Doch daraus wird dieses Mal nichts. Leider habe ich meine kompletten Küsten-Campingferien aus Versehen im »Freibad am Kleinen Dieksee« verbracht und den Unterschied erst zu spät bemerkt!

Patric Hemgesberg

 Steinzeitmythen

Fred Feuerstein hat nie im Steinbruch gearbeitet, er war Rhetoriker! Er hat vor 10 000 Jahren zum Beispiel den Whataboutism erfunden und zu seiner Losung erhoben: »Ja, aber … aber du!«

Alexander Grupe

 Hybris 101

Facebook und Instagram, die bekanntesten Ausgeburten des Konzerns Meta, speisen seit kurzem auch private Daten ihrer Nutzer in die Meta-eigene KI ein. Erst wollte ich in den Einstellungen widersprechen, aber dann dachte ich: Ein bisschen Ich täte der KI schon ganz gut.

Karl Franz

 SB-Kassen

Zu den Seligen, die an Selbstbedienungskassen den Laden kaltblütig übervorteilen, gehöre ich nicht. Im Gegenteil, obwohl ich penibel alle Artikel scanne und bezahle, passiere ich die Diebstahlsicherungsanlage am Ausgang immer in der angespannten Erwartung, dass sie Alarm schlagen könnte. Neulich im Discounter kam beim Griff zu einer Eierschachtel eine neue Ungewissheit hinzu: Muss ich die Schachtel vor dem Scannen wie eine professionelle Kassierkraft öffnen, um zu kucken, ob beim Eierkauf alles mit rechten Dingen zugeht?

Andreas Maria Lugauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer