Inhalt der Printausgabe
Mai 2006
Humorkritik (Seite 2 von 8) |
Krauses Gedanken |
Es gibt wenig, was viele deutsche Literaturkritiker mehr hassen als ein erfolgreiches Buch. Sie leiden offensichtlich darunter, daß ihr Einfluß auf die Leser so gering ist, daß sie einen Erfolg kaum verursachen und noch weniger verhindern können. Handelt es sich um den üblichen Bestseller, Fantasy- oder Kriminalroman, den kaum ein Kritiker der Rede wert findet, begegnet man ihm mit triumphaler Ignoranz. Schwieriger wird der Fall, wenn ein Autor verantwortlich zeichnet, der sich nicht von vornherein disqualifiziert, sondern im seriösen Genre debütiert hat, Vorbildern wie Thomas Mann oder Heimito von Doderer nacheifert und sich auf Stilisten wie Vladimir Nabokov oder José Luis Borges beruft, und wenn sein Roman beim bösesten Wille nicht eigentlich schlecht zu nennen wäre. Dann muß der Kritiker sich nämlich Argumente einfallen lassen, die sein subjektives Unbehagen objektivieren. Von Daniel Kehlmanns Bestseller »Die Vermessung der Welt« wurden rund eine halbe Million Hardcoverexemplare verkauft – und dieser Erfolg wird natürlich gerächt. Unter dem Titel »Kein Rätsel Kehlmann« präsentiert der Welt-Kolumnist Tilman Krause seine Patentlösung. Beliebt ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf, »das Buch« sei »in jenem glatten Sinne ›gut geschrieben‹, der heute so hoch im Kurs steht«. Natürlich nicht bei Krause, der das »Zeitgeistphänomen« glatt durchschaut und seine Mängel anprangert: »Es fehlen vor allem Leidenschaft und Tiefe.« Und darauf ist der deutsche Kritiker besonders scharf. Ich würde jedem raten, der so leidenschaftlich nach Tiefe sucht, vom nächsten Hochhaus zu springen – aber das hat Patrick Süskind schon vor Jahren vorgeschlagen. Tatsachen interessieren Krause weniger: Kehlmann, »der mit seinen noch nicht einmal 40 Jahren vergleichsweise junge Autor«, ist in Wirklichkeit Jahrgang 1975 und damit gerade Anfang 30, und Krauses Fangschuß, Kehlmann als »Harald Schmidt unter den Schriftstellern der Gegenwart« zu denunzieren, geht besonders weit daneben und landet auf meinem Gebiet. Der Vergleich ist in jeder Hinsicht unsinnig, nicht nur, indem er einen historisch recherchierenden Romancier mit einem tagesaktuell orientierten Entertainer gleichsetzt. Ausgerechnet Schmidt wird zudem von Kritikern höher geschätzt als von dem breiten Publikum, das Krause Kehlmann übelnimmt. Und den »leicht slapstickhaften Tonfall, den auch Harald Schmidt so gut beherrscht«, kann Daniel Kehlmann schon deswegen nicht kopieren, weil es ihn gar nicht gibt. Daß Slapstick nicht nur im Film grundsätzlich stumm bleibt, muß ich meinen Lesern ja nicht erklären. Doch ehe ich mich hier auf Krauses Gedanken weiter einlasse, begebe ich mich lieber gleich auf sein Niveau und erkläre ihn zum Daniel Küblböck des deutschen Feuilletons. Dem wesentlich intelligenteren Daniel Kehlmann wünsche ich, daß er weiterhin Bücher schreiben mag, die seinen Lesern besser gefallen als seinen Kritikern. |
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