Humorkritik | Mai 2014
Mai 2014
Besser schreibfaul
Merken Sie auf: »Es gibt keinen Grund zum Pessimismus – außer, man hört manche Optimisten argumentieren.« Und wissen Sie was? »Die Bewunderung ist das einzige Mittel, um am Bewunderten teilzuhaben.« Und jetzt der Hammer! »Politik verdirbt den Charakter nicht, sie stellt ihn auf die Probe.«
Darauf muß einer erst mal kommen. Doch von wegen einer! Gut hundert sind es, deren matt leuchtende Geistesblitze den Band »Neue deutsche Aphorismen« (Edition Azur) durchzucken, und auch die beiden Herausgeber Alexander Eilers und Tobias Grüterich aphoristeln munter mit: »Daß man hoffen muß, ist schon ein Grund zum Verzweifeln.«
Die Aphoristiker, stets auf einen geistreichen Einfall hoffend, brauchen allerdings niemals zu verzweifeln, weil die Sprache für sie denkt und ihnen einen Spruch nach dem anderen aufs Papier spuckt: »Handelsketten fesseln die Handelsfreiheit.« »Wer es eilig hat, kommt rasch an Grenzen.« »Wer Witz hat, erzählt keine Witze.« Und wer keinen Geist hat, gibt sich geistreich, denn gerade Paradoxien lassen sich seriell produzieren: »Wer sich verstellt, gibt sich zu erkennen.« »Unbestechlichkeit ist ein Luxus, den ich mir teuer bezahlen lasse.« »Es ist unphilosophisch, zu viel von der Philosophie zu verlangen.«
Ob das alles stimmt? Egal. Man soll da nicht zu viel von den Aphoristikern verlangen. Vor über hundert, sicherlich aber über zweihundert Jahren machten sie sich noch richtige Gedanken, zu deren Niederschrift sie manchmal eine Seite brauchten; heute brauchen sie durchweg nur einen Satz, um nichts auszudrücken. Anders gesagt: »Ein-Satz-Aphorismen kommen ohne den Einsatz von Geist aus.« Natürlich stimmt auch dieser von Ihrem Mentz soeben zusammengestöpselte Aphorismus nicht, sondern nur für die vorliegende Anthologie. Denn deren Autoren folgen fast ausnahmslos dieser Maxime und stellen mechanisch billige Paradoxien, platte Sprachspiele und nervige Groscheneinfälle her. »Es gibt Einfallsreichtum, der macht denkfaul«; aber leider nicht schreibfaul.