Humorkritik | Januar 2015
Januar 2015
Unsere wohltemperierten Humoristen mit ihrem behaglichen Lächeln der Philister-Toleranz (die im Grunde Überhebung ist) haben sich leider von den dunklen Quellen allen Humors so weit entfernt, daß sie glauben, Humor sei identisch mit dem, was sie Optimismus nennen.
Otto Julius Bierbaum
Dummwort 2014
Daß die von wem auch immer erwählten Juroren des »Unworts des Jahres«, also u.a. die Stimmen des deutschen Volkes, selber nicht so ganz bei Trost sind – es ist bekannt. Mehr oder weniger ständig verwechseln sie die da eigentlich gemeinten und zu beklagenden unseligen, scheußlichen, gemütsverletzenden »Wortgemeinheiten« (Karl Valentin) mit angeblich beschädigter politischer Kultur, i.e. Korrektheit; also z.B. 1995 den ja eigentlich verbal-metaphorisch lobenswert präzisen »Freizeitpark« mit dessen vermeintlich inhumanem Gesinnungshintergrund; und auch die in den letzten Jahren nominierten und prämierten »Opferabo«, »Supergrundrecht« und »Armutseinwanderung« wurden nicht etwa wegen Greulichkeit, sondern wegen sozialer Übelgesinnung gebrandmarkt.
Wo doch eigentlich vielmehr jüngere Neologismen wie »Egohölle« und »Warmduscher« genannt hätten werden können, auch scheinbar harmlose Verfehlungen wie »sauoft« oder das offenbar schon unverhinderbare »Chillen« – fast schon nicht mehr zu reden von der wohl irreversiblen Sprachpest des letzten Jahrfünfts, ja Jahrzehnts: vom multi- bis omnifunktionalen Einsatzbereitschaftsunwort »okay« (gespr.: »okee«, »oukey«, »okai« usw.); welches gar, so berichtete es kürzlich das »National Geographic Magazine«, 175 Jahre alt sein soll (angebliche erste Sichtung: 1839, wir glauben das ungeprüft); und das irgendwann einmal das schon bejahrtere »alles klar« und die fast pfiffig zu nennende Trias »geht in Ordnung«, »sowieso«, »genau« abgelöst hat; vornehmlich entfahrend 1380mal am Tag besinnungslos-reflexhaft gackernden Frauenmündern und von »aha«, »gut so«, »genau« bis »mach vorwärts« so ungefähr alles und vor allem jeden Stumpfsinn bedeutend.
Kaum zu glauben, daß auch dieses schwer mehr zu überbietende Dreckswort »okay« im Berichtsjahr 2014 noch egalisiert und an Gehaltlosigkeit sogar knapp übertroffen werden konnte; ich, Mentz, habe es konkurrenzlos gehört am 1.8.2014 im Regionalzug Nürnberg-Würzburg, im Verlaufe eines allerdings etwas einseitigen Dialogs zweier älterer, einigermaßen befreundeter und vom Leben sicht- und hörbar nicht eben gut behandelter Frauen:
»Und da sind wir schon letztes Jahr hin.«
»Echt?«
»Und heuer wieder.«
»Echt?«
»Aber nächstes Jahr fahren wird dann im Urlaub nach Dubai. Oder halt gleich nach Abu Dhabi. Mein Mann und ich, ohne die Kinder dann.«
»Echt?«
»Meine ältere Tochter, die Yvonne, hat jetzt bei Siemens Erlangen wieder so einen Posten.«
»Echt?«
»Weil, auch wenn der Club wieder aufsteigt, mein Sohn sagt, daß er dann nimmer ins Stadion geht, weil die mit mit ihren Eintrittspreisen sind ja jetzt echt verrückt.«
»Echt?«
Usw. Das Ganze zwischen Kitzingen und Fürth mitgezählte 84mal, 84mal ohne Unterbrechung »echt«. Selten kam die vorerwähnte »Egohölle« wegen des totalen »Du-Ausfalls« so sauoft, richtig super auf den Punkt eines echten Purgatoriums, auch für Zuhörer.
Das »echt« wurde einst vom noch jüngeren Adorno schon geschmäht im Zuge seiner Kritik am Jargon der Eigentlichkeit und Innerlichkeit, dies sogar wider Richard Wagner, nämlich dessen zweischneidiges »Was deutsch und echt wüßt’ keiner mehr« (Meistersinger). Adorno behalf sich, wenn er das Wort brauchte, dann meist mit dem edleren, damals neuartigen, nationalsozialistisch unverdächtigen und sogar wissenschaftlich tönenden »authentisch« – das aber spätestens von 1990 an auch zum besonders schmählichen Unwort von Hinz und Kunz und SPD-Spitze und Herbstmode und Barockmusik und vielleicht sogar Trainer Löw herabsank: »Wir fokussieren uns auf eine authentische Mittelfeldstruktur als Struktur und ohne Wenn und Chill …«
Daß diese authentische Dreckskultur sich jetzt wiederum unverhofft durch die altgediente Eiterbeule »echt« ins Straßenbegleitgrün des neuen Freidummsprechparks der nationalen Blödwortchampionship auf den zweiten Rang verwiesen sieht, das lehrt uns – bitte was?
Wenig tröstet, daß das »echt« vorerst wohl exklusiv nur im Süddeutschen Terror macht. Wahrscheinlich bürgert sich an seiner statt im Norden bald wieder das einst von Robert Gernhardt im Frauenleiber-Duettgedicht verewigte »sag bloß« ein. Uns bleibt nämlich halt nix erspart.