Humorkritik | April 2018
April 2018
Lächerlichkeit tötet: Das ist ein Satz, der eine sehr finstere Bedeutung annehmen kann.
Hans Magnus Enzensberger
Berlin, Berlin
Ein Jammer ist es, wenn Autoren oder Autorinnen erst nach ihrem Ableben Berühmtheit erlangen – wie die Amerikanerin Lucia Berlin (1936–2004), die knapp siebzig Kurzgeschichten geschrieben hat, welche erst kürzlich auf deutsch erschienen sind (»Was ich sonst noch verpaßt habe«, 2016, und »Was wirst du tun, wenn du gehst«, 2017, beide im Arche Verlag).
Die Bücher sind zu Recht Bestseller geworden. Vielleicht, weil sie »von bewegenden Frauenschicksalen« erzählen (Frauenschicksalszeitschrift »Freundin«)? Das ist nicht falsch, die Geschichten sind bewegend, vor allem aber haben sie Komik: »Unsere Mutter machte sich Gedanken darüber, wie Stühle aussehen würden, wenn man die Knie in die andere Richtung beugen könnte.« Auf Schlußpointen, ja überhaupt alles Standardmäßig-Effektvolle verzichtet Berlin dabei komplett, die Pointen kommen alle immer wie nebenbei, und dann geht’s wieder bewegend weiter, wird gelitten, geirrt und gestorben. In der Presse wurde mehrmals Berlins »schwarzer Humor« gepriesen, dabei drückt es ihr Herausgeber Stephen Emerson im Nachwort weit treffender aus: »Berlins Humor ist vergnügt.« Zum Beispiel hier: »Soweit ich mich zurückerinnern kann, habe ich immer einen sehr schlechten ersten Eindruck gemacht. Beispielsweise damals in Montana, als ich nur versuchte, Kent Shreve die Socken auszuziehen, damit wir barfuß gehen konnten, und dann waren sie an seinen langen Unterhosen festgemacht.« Schlechten Eindruck macht mir hier nur das überdeterminierte »Zurückerinnern«, an dem aber wohl die Übersetzung schuld ist.
Die Komik der Geschichten entsteht auch durch die Ungleichheit der Figuren, die in siffigen Waschsalons oder nächtlichen Spirituosenläden aufeinanderprallen: mit Rosenkränzen klappernde Nonnen, Jim Beam saufende Apachen, depressive Ärzte oder alleinerziehende Putzfrauen. Es sind wendungs- und fintenreiche Kurzgeschichten, etwa dann, wenn eine frustrierte Arzthelferin eine Liebesaffäre beginnt, es aber nicht der Sex ist, der ihr dauerhaft Plaisir bereitet, sondern die Heimlichkeit; so daß die beiden bald nur noch »Trivial Pursuit« spielen und im Duett Volkslieder singen. Lucia Berlin gelingt es, Erwartungen zu schüren und dann zu unterlaufen, auch jene, daß im nächsten Absatz gleich etwas Lustiges kommen müßte – was dann aber auch mal seitenlang nicht geschieht. Was hätte diese hochtalentierte Humoristin noch alles aufgefahren, wenn sie es nur gewollt und wenn sie länger gelebt hätte?