Humorkritik | Juni 2019
Juni 2019
»Ich überlegte, ob Jahre engen Zusammenlebens sogar bei einer Primärreaktion wie Lachen einen gemeinsamen Ton erzeugen können.«
Siri Hustvedt, »Die unsichtbare Frau«
Typisch Proto
Der »Prototyp Deutsch« ist ein wahrhaft »mieser Hektor«, wie ihn die Offstimme kurzerhand bezeichnet. Er trägt weiße Socken, hält einen Sack Kartoffeln in der Hand, »und seine Hose ist so weit hochgezogen, dass sie fast seinen Hinterkopf berührt.« Tatsächlich: Der Typ kommt, wie der Kameraschwenk offenbart, famos hochbehost und auch sonst ziemlich dämlich daher. »Und er läuft so, als ob er aus Holz besteht«, sagt die Offstimme, und schon stakst der Prototyp eine Straße lang wie ein Zombie. Anschließend sieht man ihn tumben Blicks vor einem Jägerzaun auf seinen Filzpantoffeln vor- und zurückwippen und eine imaginäre Armbanduhr betrachten, und die Offstimme sagt: »Füße wippen und auf die Uhr gucken ist das Hauptmerkmal eines Prototyp-Deutschen.«
»Sind die Hauptmerkmale«, müsste es korrekterweise heißen, aber dann wäre dieses kurze Youtube-Video sicher nur noch halb so komisch. Denn neben der immens lässigen Inszenierung und der brutal reduzierten Dramaturgie ist es vor allem die freischnauze Text- und Sprechhaltung, die es so vergnüglich macht. Barry Hammerschmidt alias Bodyformus, so der Künstler- bzw. Youtube-Name, ist sein Macher. Und gibt zugleich den Offsprecher und Darsteller, präsentiert also auch jenen prototypischen Deutschen, »der denkt, er wäre ein Kanake, obwohl er gar kein Kanake ist, und versucht so zu reden.« Und gleich darauf noch den prototeutonischen »Atzen«, der bei schlechten Witzen immer lacht »wie ein quietschendes Auto«.
Sein Großvater sei in Afrika ein Zulu-Häuptling gewesen, erzählte Hammerschmidt dem »Kölner Express«, und er selbst als Jugendlicher häufig in Auseinandersetzungen verwickelt, weil er der einzige Schwarze auf seiner Schule gewesen sei. Über den beruflichen Werdegang des 29-jährigen ist zu erfahren, dass er sich neben einem kürzeren Auftritt in einer Big-Brother-Staffel und einem längeren Einsatz in der RTL-Serie »Berlin – Tag und Nacht« auch als Fußballprofi und Rapper versucht hat, ehe er sein komisches Talent entdeckte. Und es dann in kurzer Zeit zum millionenfollowerschweren Youtube-Star brachte.
Die meisten Klicks räumt er dabei mit seinen Prototyp-Videos ab, von denen die erwähnte Folge »Prototyp Deutsch« sicher eine der lustigsten ist. Mir aber machten auch die Prototypen »Albaner«, »Russe«, »Pole« oder der mit einem Sechserpack Suçuk telefonierende »Prototyp Türke« Spaß. Doch ist es keineswegs nur angeblich Nationaltypisches, dem sich Hammerschmidt und seine Crew so erfreulich albern widmen, sie nehmen sich auch Stereotypen wie den Club Mate trinkenden Hipster (»Schmeckt nach Mundgeruch!«) vor, den streitsuchenden Schläger (»sein Hauptberuf ist natürlich die kurze Zündschnur«) oder den Kanaken auf Klassenfahrt (»Mama, ich wurde nach Hause geschickt!«). Und selbst wenn ich einräumen muss, dass längst nicht jedes Video krass zündet, erlebt man beim Durchklicken dieser migrantisch geprägten Filmchen etliche überraschende und komische Momente. Außer vielleicht, man ist Prototyp Deutscher Feuilletonist und findet Bohemian Browser Ballett witzig.