Humorkritik | März 2021

März 2021

Nichts ist verächtlicher als ein trauriger Witz.
Friedrich Schlegel

Börsencrashkurs Humor

Börsenkurse, Aktienhandel und dergleichen sind nicht mein Feld. Bei der von CNN so genannten »GameStop-Saga« konnte ich jedoch mitkichern. Was war passiert?

1.: Der massenhafte Aufkauf von Aktien des Computerspiele-Einzelhändlers GameStop (GME). Dessen Niedergang ist in Zeiten des Downloadens absehbar, weshalb er zum Ziel von Leerverkäufen wurde, also Wetten auf sinkenden Aktienkurs durch milliardenschwere Hedgefonds. Dies weckte, 2., den Unmut der Reddit-Gruppe »wallstreetbets« (WSB), einer Versammlung von Millionen Nerds, die nicht nur an der Konsole, sondern auch an der echten Börse mitzocken, was das Ersparte hergibt. Für sie sind die Filialen von GameStop so etwas wie nostalgisch verklärte Tante-Emma-Läden, weshalb sie sich, 3., Anfang des Jahres gegen die Spekulanten wandten, massenhaft GME-Aktien zu kaufen begannen, deren Wert von unter 20 auf sagenhafte 400 Dollar steigerten und damit ihren Hauptfeind, den Hedgefonds »Melvin Capital«, ins Wanken brachten: Er verlor die Hälfte seines Kapitals und musste mit 2,75 Milliarden Dollar von anderen Investoren gestützt werden. Neben GameStop wurden bald auch die Aktien anderer angeschlagener Firmen wie die des Kinobetreibers AMC oder des Elektronikunternehmens Blackberry (BB) gekauft und deren Preise nach oben getrieben.

Was bei der bizarren Börsenkomödie abfiel, waren nicht nur zahllose Memes innerhalb der WSB-Gruppe, sondern auch einige hübsche Übungen in komischer Spontanliteratur. Typisches Beispiel: »Investieren in den 90ern: Ruf deinen Broker an, gib ihm ein 250-$-Dinner aus und hoffe, dass er dir einen verschissenen Aktientip gibt, während er sein Rindersteak lutscht. Investieren in den 2010ern: Du hast deinen Broker gefeuert, weil du jetzt einen Online-Discount-Broker benutzt, aber der alte Broker ist jetzt der Boyfriend deiner Frau. Investieren in den 2020ern: Kaufe GME, AMC und BB. Dann erzähle 7 Millionen Leuten in einer Reddit-Gruppe, dass du ein zurückgebliebener, degenerierter Affe bist. Warte.«

Nachdem die bei den Kleinanlegern beliebte Trading-App »RobinHood« den Handel mit GameStop-Aktien vorübergehend eingeschränkt hatte, mutmaßlich auf Drängen einflussreicher Wallstreet-Akteure, wurde auch der vermeintliche Rächer der Enterbten zum Ziel des Spottes: Der Fox-News-Moderator Charles Payne riet, man solle sich nicht »RobinHood« nennen, wenn man beim ersten Anruf des »Sheriff of Nottingham« den eigenen Leuten den Rücken kehre. Spätestens mit diesen Manipulationsvorwürfen war der Vorgang politisch geworden. Der texanische Senator und Trump-Verbündete Ted Cruz retweetete zustimmend einen Tweet der linken Kongress-Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, in dem diese die Manipulationen durch RobinHood angeprangert hatte, worauf man im WSB-Lager stöhnte: »Heilige Mutter Gottes, Ted Cruz und AOC sind sich in etwas einig und dann ausgerechnet darin, uns Idioten zu verteidigen. Wir vereinigen noch das Land!« Die Erschütterung des Weltfinanzsystems durch einen Riesenhaufen sich genüsslich als Autisten, Affen, Idioten und Versager, denen die Ehefrauen weggelaufen sind, inszenierende User: das ist Fallhöhe, und Fallhöhe bedeutet Komik. Wenngleich allerdings der Antikapitalismus in der Gruppe manchmal kaum von tumber Elitenfeindlichkeit zu unterscheiden war, die bekanntlich immer die Gefahr birgt, antisemitisch zu werden. Auch enthält der Dauer-Topos von der fremdgehenden bzw. weggelaufenen Ehefrau sexistische Untertöne – wie überhaupt der Sexismus in der sehr männlichen Gruppe auffällt. Wie eine der wenigen Userinnen konstatierte: »Reddit-Jungs kriegen es hin, einen Aktienwert um 200 Prozent zu steigern und den Wallstreet-Arschlöchern Millionenverluste zuzufügen, wissen aber immer noch nicht, wie man mit einem Mädchen spricht.«

So endet die Geschichte mit dem erschöpften Fazit eines der Nerds: »Ich kann es nicht erwarten, meinem Therapeuten von dieser Woche zu erzählen«. Ein anderer frohlockte, die US-Börsenaufsicht beobachte die WSB-Gruppe bereits, um Hinweisen auf Marktmanipulationen nachzugehen, »aber alles, was sie finden, sind unsere Shitposts und Memes«.

Ich muss zugeben, dass mich diese gut unterhalten haben. Aber ich bin auch nur von der Humoraufsicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoffentlich klappt’s, Künstlerin Marina Abramović (77)!

Sie wollen gern mindestens 103 Jahre alt werden. Alt zu sein sei in der Kultur des Balkans, im Gegensatz zu der Nordamerikas, etwas Großartiges. Sie seien »neugierig wie eine Fünfjährige« und wollen noch schwarze Löcher und Außerirdische sehen.

Wir wollen auch, dass Sie Außerirdische sehen bzw. dass die Außerirdischen Sie sehen, Abramović. Wenn Sie die Extraterrestrischen, die, wie wir aus diversen Blockbuster-Filmen wissen, nichts Gutes im Schilde führen, mit einer Ihrer verstörenden Performances voll Nacktheit, Grenzüberschreitung und Selbstgefährdung begrüßen, wenden sie sich vielleicht doch von uns ab.

Kommt stets in Frieden: Titanic

 LOL, Model Anna Ermakova!

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verrieten Sie Ihre sprachlichen Ambitionen: »Ich möchte unbedingt lernen, Witze auf Deutsch zu machen. Ich will die Leute zum Lachen bringen, ohne dass sie nur über mich lachen«. In Deutschland fühlten Sie inzwischen »eine solche Wärme«.

Der war schon mal gut!

Loben die Witzeprofis von Titanic

 Genau so war es, lieber »Tagesspiegel«!

»Die Trauer um die Mauertoten erinnert uns daran, was es bedeutet, Hoffnung, Mut und letztlich das eigene Leben für ein Leben in Freiheit zu opfern«, mahnst Du am Jahrestag des Mauerbaus. Ja, wer kennt sie nicht, die ganzen Menschen, die die Hoffnung auf ein besseres Leben und den Mut, ihr Leben zu riskieren, längst aufgegeben haben, um dann an der Mauer zu sterben, wiederaufzuerstehen und ein gutes Leben im freien Westen zu führen? Mögen sie und Deine Formulierungsgabe in Frieden ruhen, Tagesspiegel!

Herzliches Beileid schickt Titanic

 Hä, focus.de?

»Deutschlands Wirtschaft wankt«, berichtest Du und fragst: »Warum will die Ampel das einfach nicht sehen?« Ähem: Vielleicht wird der Bundesregierung da ja schlecht, wenn sie zu genau hinschaut. Hast Du darüber schon mal nachgedacht?

Üble Grüße von Titanic

 Standhaft, brandenburgischer CDU-Landesvorsitzender Jan Redmann!

Sie wurden mit 1,3 Promille Atemalkohol auf einem E-Scooter erwischt und entsprechend zu einer Strafe verdonnert. Daraufhin gaben Sie zu Protokoll, zu »diesem Fehler zu stehen« und die »Konsequenzen, insbesondere die Strafe« zu tragen. Das ist ja geradezu heldenhaft. Wir waren davon ausgegangen, dass Sie den Inhalt des Polizeiberichts leugnen, den Staat um die Strafzahlung prellen und sich ins Ausland absetzen würden.

Hätte dann vielleicht sogar Sympathie für Sie entwickelt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Hybris 101

Facebook und Instagram, die bekanntesten Ausgeburten des Konzerns Meta, speisen seit kurzem auch private Daten ihrer Nutzer in die Meta-eigene KI ein. Erst wollte ich in den Einstellungen widersprechen, aber dann dachte ich: Ein bisschen Ich täte der KI schon ganz gut.

Karl Franz

 Schierlingsbücher

Kaum jemand erinnert sich an das allererste selbstgelesene Buch. War es »Wo die wilden Kerle wohnen« oder doch Grimms Märchen? Schade, denke ich mir. Es könnte eine Wegmarke in die wunderbare Welt der Bibliophilie sein. In meiner Erinnerung wabert stattdessen leider nur ein unförmiger Brei aus Pixibüchern. Diesen Fehler möchte ich am Ende meines Leselebens nicht noch einmal machen. Und habe mir das Buch »Essbare Wildpflanzen« bestellt.

Teresa Habild

 Aus einer Todesanzeige

»Wer sie kannte, weiß was wir verloren haben.« Die Kommasetzung bei Relativsätzen.

Frank Jakubzik

 Zero Punkte für den Underdog

Nach meinem Urlaub in Holstein möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die oft zu Unrecht belächelte Ostsee brechen. Jene, so heißt es, sei eigentlich gar kein richtiges Meer und habe ihre unwürdige Existenz bloß einer brackigen XXL-Schmelzwasserpfütze zu verdanken. Wellen und Brandung seien lächerlich, die Strände mickrig und das Leben unter Wasser mit der Artenvielfalt in einem Löschtümpel vergleichbar. Außerdem habe ein Gewässer, in das man vierhundert Meter hineinschwimmen und danach selbst als Siebenjähriger noch bequem stehen könne, das Prädikat »maritim« schlicht nicht verdient. Vorurteile, die ich nur zu gerne mit fantastischen Bildern und spektakulären Videos widerlegen würde. Doch daraus wird dieses Mal nichts. Leider habe ich meine kompletten Küsten-Campingferien aus Versehen im »Freibad am Kleinen Dieksee« verbracht und den Unterschied erst zu spät bemerkt!

Patric Hemgesberg

 Fachmann fürs Leben

Im Gegensatz zur Schule hat man im Zivildienst viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass man die Körper von Menschen, die sich selbst nicht mehr bewegen können, regelmäßig umlagert, damit keine Seite wund wird. Um anhaltenden Druck auf die Haut zu minimieren, wende ich auch heute noch die Pfirsiche in der Obstschale alle paar Stunden.

Friedrich Krautzberger

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer