Humorkritik | Juli 2022

Juli 2022

»Es gibt 100 Witzige gegen einen der Verstand hat, ist ein wahrer Satz, womit sich mancher witzlose Dummkopf beruhigt, der bedenken sollte, wenn das nicht zuviel von einem Dummkopf gefordert heißt, daß es wieder 100 Leute, die weder Witz noch Verstand haben, gegen einen gebe, der Witz hat.«
Georg Christoph Lichtenberg

The Kids are alright

Wenn fünf englischsprachige Männer fortgeschrittenen Alters noch einmal zusammenkommen, um an ihre Verdienste und Erfolge als »Anarcho-Comedytruppe« o.s.ä. anzuknüpfen, bin ich erst mal misstrauisch: zu gut ist mir die Python-Bühnenshow »One down, five to go« in Erinnerung, dieser so halbherzig wie bemüht zusammengerührte Aufguss (TITANIC 8/2014). Das Comeback des kanadischen Quintetts »The Kids in the Hall« (KITH) hätte ebenso zahnlos geraten können, oder schlimmer noch: peinlich »politische Inkorrektheit« und »edginess« forcierend. Eine Befürchtung, die nicht zuletzt wegen der Ankündigung, Amazon habe für die acht neuen Episoden keinerlei inhaltliche Schranken gesetzt, nahelag – und sich gottlob nicht bewahrheitet hat. Ja, die Sketche sind chaotisch, derb, schamlos, bisweilen dämlich, dabei aber in ihrer zeitlosen Geschmacklosigkeit absolut geschmackssicher und in der Ernsthaftigkeit ihrer Inszenierung (nebst superbem Produktionsdesign; Amazon ist halt nicht der schlechteste Geldgeber) geradezu herzerwärmend. Eine Gewichtsverlust-Innovation in Form eines »Fett-Zapfhahns«; ein Küchenteam, das in Erwägung zieht, sein gesamtes Restaurant abzufackeln, weil ein Gast die tarte als pie bezeichnet hat; ein Zoom-Meeting, das während eines Sensibilitätstrainings in eine Masturbations-Orgie ausartet: das sieht man nicht alle Tage, schon gar nicht hierzulande (wo die Show eine Freigabe ab 18 u.a. deswegen erhalten hat, weil in der Auftaktfolge zwei Schniedel zu sehen sind).

Kurzum: Nach dem unterwältigenden Filmflop »Brain Candy«, einer gefeierten Bühnentour und einer durchwachsenen Revival-Serie (»Death Comes to Town«, ebenfalls bei Prime verfügbar) können die Kids mühelos wieder zum, ähem: Niveau der fünf Original-Staffeln von 1989 bis 1995 aufschließen. Wie, Sie haben von KITH noch nie gehört? Dann sollten Sie vorab das parallel erschienene Feature »The Kids in the Hall: Comedy Punks« schauen. Das empfiehlt sich schon allein deswegen, um den sehr meta ausgefallenen Prolog der neuen Staffel oder wiederkehrende Figuren wie den »Head Crusher« oder »Cathy and Kathie« goutieren zu können. Die zweiteilige Dokumentation, die einen kurzweiligen Bogen von den Anfängen in der Impro-Szene von Toronto und Calgary über persönliche Krisen der Mitglieder bis zum Dreh unter Corona-Bedingungen schlägt, ist auch humorhistorisch wertvoll. Dave Foley, Bruce McCulloch, Kevin McDonald, Mark McKinney und Scott Thompson zelebrieren nicht nur Surrealismus und buchstäbliche Selbstentblößung, sondern eine Lebenseinstellung. Zahlreiche Comedygrößen von heute bekunden als Zeitzeugen, was für ein Erweckungserlebnis die erste Begegnung mit der Sketchreihe für sie darstellte und wie KITH insbesondere in alternativen Kreisen verehrt wurde. Nicht zuletzt hat das Ensemble zur – wie die jungen Leute sagen würden – Normalisierung von Queerness beigetragen.

Dass nicht jeder Gag zündet: geschenkt. Von mir aus dürfen die »Bengel im Flur« noch lange weiterkaspern. Sie sind ja erst um die 60.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eine Frage, »Welt«-Newsletter …

Du informiertest Deine Abonnent/innen mit folgenden Worten über die Situation nach dem Hoteleinsturz in Kröv: »Bisher wurden zwei Menschen tot geborgen, weitere konnten verletzt – aber lebend – gerettet werden.« Aber wie viele Menschen wurden denn bitte verletzt, aber leider tot gerettet?

Rätselt knobelnd Titanic

 Kunststück, »Welt«!

Im Interview mit der Rheinischen Post beschwerte sich Sängerin Cyndi Lauper darüber, dass Frauen ständig auf ihr Alter reduziert würden. Aus diesem Statement hast Du, Welt, nicht nur geschafft, einen ganzen Artikel zu stricken, Du hast auch noch äußerst subtil Deinen eigenen Standpunkt zur Causa klargemacht und Laupers Aussage folgendermaßen zusammengefasst: »Popsängerin Cyndi Lauper hält es für sexistisch, Frauen nach ihrem Alter zu fragen: ›Alter ist eine Kategorie, die benutzt wird, um uns kleinzuhalten‹, sagte die 71jährige.«

Wie clever von Dir! Indem Du das Alter genüsslich anmerkst, hast Du es der meckernden alten Frau aber mal so richtig gezeigt! Andererseits: Es nötig zu haben, aus Interviews anderer Zeitungen Artikel zusammenzukloppen – lässt das nicht Dich und Deinen angeblichen journalistischen Anspruch auch ziemlich alt aussehen?

Fragt Dein greises Kollegium von Titanic

 Heda, »FAZ«

»Schlechte Politik verhindert Fortschritt« – das stimmt. Aber ist das nicht haargenau die Politik, für die Du immer trommelst?

Fragt schlecht und recht Titanic

 Liebes Werbeplakat in Freiburg!

»Nicht zu wählen, weil man nicht weiß, was, ist, wie keinen Film zu schauen, weil man sich nicht entscheiden kann«, trötest Du am Bahnhof allen noch so unwilligen Nichtwähler/innen entgegen. Jetzt stellt sich natürlich die alles entscheidende Frage: Ist ein versauter Filmabend, bei dem man am Ende aus Langeweile vielleicht sogar Monopoly spielen muss, genauso schlimm wie die Machtübernahme einer neofaschistischen Diktatur?

Fragt Popcorn mampfend Titanic

 Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

»Tausende Bürgergeldempfänger könnten arbeiten, verweigern dies jedoch und bekommen so Geld vom Staat, für das die Steuerzahler hart arbeiten.«

Oha, Tausende Menschen? Das ist natürlich skandalös! Das sind ja Zahlen im vierstelligen Bereich. Wie soll sich ein Land wie Deutschland mit einer Einwohnerzahl im lediglich achtstelligen Bereich (das ist nur doppelt so viel!) das leisten können? Unter Umständen sind das ungefähr so viele Menschen, wie in Großröhrsdorf wohnen! Ein Glück, dass Sie, Kretschmer, Geld vom Staat bekommen, um solche Zahlen fachmännisch für uns einzuordnen!

Zählt zur Sicherheit noch mal an den eigenen Fingern nach:

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Ach, übrigens,

der Typ, mit dem ich in jedem Gespräch alle drei Minuten für mindestens fünf Minuten zu einem Nebenthema abschweife: Ich glaube, wir sind jetzt exkursiv miteinander.

Loreen Bauer

 Bilden Sie mal einen Satz mit »AKW«

Der Bauer tat sich seinen Zeh
beim Pflügen auf dem AK W.

Jürgen Miedl

 Steinzeitmythen

Fred Feuerstein hat nie im Steinbruch gearbeitet, er war Rhetoriker! Er hat vor 10 000 Jahren zum Beispiel den Whataboutism erfunden und zu seiner Losung erhoben: »Ja, aber … aber du!«

Alexander Grupe

 Abwesenheit

Vielen Dank für Ihre E-Mail. Ich bin vom 02.–05.09. abweisend. Ab 06.09. bin ich dann wieder freundlich.

Norbert Behr

 SB-Kassen

Zu den Seligen, die an Selbstbedienungskassen den Laden kaltblütig übervorteilen, gehöre ich nicht. Im Gegenteil, obwohl ich penibel alle Artikel scanne und bezahle, passiere ich die Diebstahlsicherungsanlage am Ausgang immer in der angespannten Erwartung, dass sie Alarm schlagen könnte. Neulich im Discounter kam beim Griff zu einer Eierschachtel eine neue Ungewissheit hinzu: Muss ich die Schachtel vor dem Scannen wie eine professionelle Kassierkraft öffnen, um zu kucken, ob beim Eierkauf alles mit rechten Dingen zugeht?

Andreas Maria Lugauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer