Humorkritik | Juli 2023

Juli 2023

»Es bringt nichts, die Weltlage mit Humor zu sehen.«
Joko Winterscheidt

Verwertungsgesellschaft Mord

Die junge Schauspielerin Madeleine wird Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen mächtigen, alten Theaterproduzenten. Sie wehrt sich, beißt ihn und verschwindet dann. Kurz darauf steht die Polizei vor der Tür, der Mann wurde erschossen aufgefunden. Madeleine und ihre beste Freundin/Mitbewohnerin, die arbeitslose Anwältin Pauline, erkennen das Potential dieser Geschichte: Madeleine gesteht den Mord, ohne ihn begangen zu haben, wird aber aufgrund von Paulines guter Verteidigung freigesprochen. Durch den aufsehenerregenden Prozess kommt Madeleine zu Ruhm, Engagements und damit Geld, weshalb kurz darauf die wahre Mörderin Odette auftaucht: Sie erhebt Anspruch auf ihr lukratives Verbrechen und fordert einen gerechten Anteil am damit gemachten Profit.

»Mein fabelhaftes Verbrechen« (im Original »Mon Crime«), der neue Film von François Ozon, spielt im Paris der 30er Jahre, bezieht sich aber auf aktuelle Debatten, v. a. auf #MeToo, und allein dieser Verfremdungseffekt wirkt komisch. Auch sonst versteht es Ozon recht gut, komische Effekte aus verschiedenen Quellen zu schöpfen: aus den Dialogen, der Figurenmotivation, weniger hingegen aus den Slapstick-Versuchen. Dabei nehmen die Betroffenen Mord und Missbrauch auf erstaunlich leichte Schultern, keine Spur von Trauma oder Trauer; stattdessen sind alle Figuren mit Bauernschläue ausgestattet sowie mit dem Talent, jedweder Unbill einen persönlichen Profit abzuringen, ohne dabei im Übrigen besonders unsympathisch zu wirken. Die dialogischen Albernheiten machen Spaß, etwa wenn der blasierte und korrupte Untersuchungsrichter Gustave Rabusset, der den Mord aufklären soll, seinen Freund Palmarède verhört, der durch den Tod des Produzenten sieben Millionen Francs einspart: »Niemand profitiert mehr von Montferrands Tod als du. Deshalb muss ich dich im Rahmen meiner Ermittlungen fragen, was du am letzten Samstag gemacht hast, dem Tag, an dem er ermordet wurde.« – »Am letzten Samstag … Da war ich bei dir zum Mittagessen.« – »Gibt es Zeugen?« – »Dich.« – »Mich? Ich zähle nicht. Ich kann mich nicht selbst verhören.« – »Deine Frau, meine Frau, deine Bediensteten, der Concierge.« – »Stimmt. Ich lade sie alle vor.«

»Mein fabelhaftes Verbrechen« ist, trotz Mord und Missbrauch, eine Komödie – wenngleich sie sich beim Versuch, etwas Sinnvolles zur #MeToo-Debatte beizutragen, einigermaßen verzettelt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mmmmmh, Iglo-Freibad-Pommes!

Ihr seid ein neues Tiefkühlprodukt, das in diesem Sommer vom grassierenden Retro- und Nostalgietrend profitieren möchte. Daher seid Ihr derzeit auf den großen Plakatwänden im Stadtbild vertreten, und zwar garniert mit dem knusprigen Claim: »Das schmeckt nach hitzefrei«.

Aber schmeckt Ihr, wenn wir uns recht erinnern, nicht ebenfalls nach einem kräftigen Hauch von Chlor, nach einem tüchtigen Spritzer Sonnenmilch und vor allem: nach den Gehwegplatten aus Beton und der vertrockneten Liegewiese, auf welchen Ihr regelmäßig zu Matsch getreten werdet?

In jedem Fall bleibt es Euch weiterhin verboten, vom Beckenrand zu springen, schimpft Eure Bademeisterin  Titanic

 Eine Frage, »Welt«-Newsletter …

Du informiertest Deine Abonnent/innen mit folgenden Worten über die Situation nach dem Hoteleinsturz in Kröv: »Bisher wurden zwei Menschen tot geborgen, weitere konnten verletzt – aber lebend – gerettet werden.« Aber wie viele Menschen wurden denn bitte verletzt, aber leider tot gerettet?

Rätselt knobelnd Titanic

 Was soll das, Ameisen?

Was soll das, Ameisen?

Wie Forscher/innen herausfanden, seid Ihr in der Lage, bei Artgenossinnen Beine durch Abbeißen zu amputieren, um so tödliche Infektionen zu vermeiden. Chirurgische Eingriffe! Geht’s noch? Habt Ihr Euch mal überlegt, wie es uns damit geht? Als Spezies, die für ihren jetzigen Stand in der Medizin Jahrtausende an Forschung gebraucht hat?

Fragt pikiert die Krone der Schöpfung auf der Titanic

 Genau so war es, lieber »Tagesspiegel«!

»Die Trauer um die Mauertoten erinnert uns daran, was es bedeutet, Hoffnung, Mut und letztlich das eigene Leben für ein Leben in Freiheit zu opfern«, mahnst Du am Jahrestag des Mauerbaus. Ja, wer kennt sie nicht, die ganzen Menschen, die die Hoffnung auf ein besseres Leben und den Mut, ihr Leben zu riskieren, längst aufgegeben haben, um dann an der Mauer zu sterben, wiederaufzuerstehen und ein gutes Leben im freien Westen zu führen? Mögen sie und Deine Formulierungsgabe in Frieden ruhen, Tagesspiegel!

Herzliches Beileid schickt Titanic

 Hoffentlich klappt’s, Künstlerin Marina Abramović (77)!

Sie wollen gern mindestens 103 Jahre alt werden. Alt zu sein sei in der Kultur des Balkans, im Gegensatz zu der Nordamerikas, etwas Großartiges. Sie seien »neugierig wie eine Fünfjährige« und wollen noch schwarze Löcher und Außerirdische sehen.

Wir wollen auch, dass Sie Außerirdische sehen bzw. dass die Außerirdischen Sie sehen, Abramović. Wenn Sie die Extraterrestrischen, die, wie wir aus diversen Blockbuster-Filmen wissen, nichts Gutes im Schilde führen, mit einer Ihrer verstörenden Performances voll Nacktheit, Grenzüberschreitung und Selbstgefährdung begrüßen, wenden sie sich vielleicht doch von uns ab.

Kommt stets in Frieden: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Hybris 101

Facebook und Instagram, die bekanntesten Ausgeburten des Konzerns Meta, speisen seit kurzem auch private Daten ihrer Nutzer in die Meta-eigene KI ein. Erst wollte ich in den Einstellungen widersprechen, aber dann dachte ich: Ein bisschen Ich täte der KI schon ganz gut.

Karl Franz

 Schierlingsbücher

Kaum jemand erinnert sich an das allererste selbstgelesene Buch. War es »Wo die wilden Kerle wohnen« oder doch Grimms Märchen? Schade, denke ich mir. Es könnte eine Wegmarke in die wunderbare Welt der Bibliophilie sein. In meiner Erinnerung wabert stattdessen leider nur ein unförmiger Brei aus Pixibüchern. Diesen Fehler möchte ich am Ende meines Leselebens nicht noch einmal machen. Und habe mir das Buch »Essbare Wildpflanzen« bestellt.

Teresa Habild

 Bilden Sie mal einen Satz mit »AKW«

Der Bauer tat sich seinen Zeh
beim Pflügen auf dem AK W.

Jürgen Miedl

 Meine Mitbewohnerin

legt Dinge, die nicht mehr so ganz intakt sind, in Essig ein. Dabei ist es egal, ob es sich um verkalkte, schmutzige oder verschimmelte Dinge handelt. Ich würde bei ihr den Verbrauch von Salzsäure in den kommenden Jahren intensiv beobachten – gerade falls ihr Partner unerwarteterweise verschwinden sollte.

Fia Meissner

 Ach, übrigens,

der Typ, mit dem ich in jedem Gespräch alle drei Minuten für mindestens fünf Minuten zu einem Nebenthema abschweife: Ich glaube, wir sind jetzt exkursiv miteinander.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer