Humorkritik | August 2024

August 2024

»Es gibt einen satirischen Imperativ: Man verarscht die Nashörner nicht vor einem Großwildjägerpublikum, man kritisiert nicht die Konsumverweigerer in der Shopping Mall, man rechnet den naiven Philanthropen nicht im Klub der Misanthropen ihre Widersprüche vor.«
Richard Schuberth

Ammthologie

Gisbert Amm ist ein Dichter, der sich in die Nachfolge der »Neuen Frankfurter Schule« stellt. Seinen Gedichtband »Das Fingerzeighaus«, im vorletzten Jahr im Berliner Bübül Verlag erschienen, zieren Illustrationen aus dem Nachlass F. W. Bernsteins. Das kann misstrauisch machen – es kann aber auch Gutes verheißen. Mal sehen.

Schön albern wird es, wenn Amm die Mythologie anzapft, wie in »Alexanders Rückkehr«, bei der dieser Gipfel erstürmt: »Alexander, Knotenschreck, / schwupp, schon ist der Knoten weg. / Bergsteiger in rauen Mengen / purzeln von den grauen Hängen.« Schön lakonisch, wenn in »Vertane Chance« Literatur und Fußball neu abgemischt werden: »Eichendorff verzieht den Ball, / als er eine Nachtigall / über’m Tor gewahrt. / Und er trifft sie hart. // Federn stieben weit, sie stürzt / hinters Tor, klagt und verbürzt. / Eichendorff betroffen, / Spielausgang bleibt offen.« Nicht offen bleibt, ob »verbürzt« hier als Ausnahme steht, denn das Wortneuschöpfen, ‑abschneiden und ‑zurechtdengeln um des Reimes willen ist eine von Amms Schwächen: Wenn jemand, der irrt, als »Irrtürmer« bezeichnet wird, mag das hingehen (und ermöglicht den Reim auf »Würmer«); wenn aber der Wille nur deshalb zu »Wulle« wird, damit er sich auf »Käsestulle« reimt, der Stecken zum »Stecke«, auf dass es mit der »Strecke« klappt, und der »Führerbunker« zum »Führerbunk«, um eine Zeile auf dem nun schon vollends leersinnigen »Runkelstrunk« enden zu lassen, dann scheint mir hier jemand den Worthobel etwas zu leichtfertig zu gebrauchen. Manche Gedichte laufen komplett aus dem Gleis – eine Pointe funktioniert aber nur dann, wenn sie mit dem Unerwarteten aufwartet, nicht mit dem Willkürlichen: »Kommt ein Geschmack mir in den Mund, / wo kommt der her, so ohne Grund? / Ich hab doch nichts gegessen. / Und überhaupt: Welch ein Geschmack! / Ich weiß nicht, ist es Vogelkack, / sind’s Oberleutnantstressen.« Was ein genauso erratischer Abschluss ist, wie es Gurken aus Nordhessen, spanische Mätressen oder and’re Petitessen gewesen wären.

So also nicht. Und so vielleicht doch: »Ich lebe mein Leben in bunten Pokalen, / die dann in den Regalen stehn. / Ich werde den letzten vielleicht nicht bemalen, / aber ich kaufe erstmal noch zehn.« Denn klingt etwas nach Rilke, dann ist das schon die halbe bis dreiviertel Miete. Schwieriger Goethe: »Über allen Gipfeln ist Ruh, / wo sind denn bloß meine Schuh?« – dass schon Karl Kraus vor hundert Jahren in den »Letzten Tagen der Menschheit« längst nicht mehr »Wandrers Nachtlied« parodierte, sondern, eine Ebene höher, Dilettanten, die »Wandrers Nachtlied« parodieren, sollte zu denken geben.

Manchmal geht es reimlos am besten, da kann man sich nämlich nicht auf den rettenden Gleichklang (oder wenigstens: Ähnlichklang) verlassen, sondern braucht eine Idee: »ACH DESHALB! / Es schneit. / Gott schreddert wieder / alte Schöpfungsakten.« Hier passt das Bild. Hier wieder nicht: Ein »Schaf im Schafspelz« ist keineswegs »wie eine Zwiebel« oder »Matrjoschka«, denn es besteht nicht aus lauter Schafspelzen, sondern aus einem Schaf (mit Extrapelz) – herrje, muss ich solche Dinge wirklich erklären? Niemand soll sagen, ich hätte was gegen Intersprachlichkeit: »Das Klopfen klingt auf dem Pflasterbeton / als käm Captain Silver die Reling along« – einverstanden. Aber wenn sich die deutsche »Sense« auf die französische »Provence« reimt, darf sich nicht ein paar Zeilen weiter »Arles« auf »kahl« reimen. Conséquence, bitte!

So ist Ihr Mentz hin- und hergerissen zwischen Lust und Ärger, freut sich über Binnenreime in Spülgedichten (»Ich werde irr bei dem Geschirr. / Ich werde jeck bei dem Besteck. / Wie kann man nicht die Tassen hassen? / Seh ich den Abwasch, renn ich weg«), leidet bei Literaturhauskrampf (»Taffer Mann beim Rasenmäh, taffer für uns alle / mäh, anderntags, mäh, Tantalos des absoluten / Gleichschnitts…«), und schlägt, wenn er zur letzten Seite kommt und dort, zweimal sic!, von den »1990iger Jahren« liest und davon, Illustrator Bernstein sei »Mitbegründer der Frankfurter Schule«, das Buch endgültig zu. Wer es nach ihm öffnet, sollte genau wissen, an welchen Stellen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hmmm, Aurelie von Blazekovic (»SZ«)!

Am Abend der Wahlen in Thüringen und Sachsen hatte die ZDF-Chefredakteurin Schausten dem 1. September 2024 den 1. September 1939 an die Seite gestellt, und dazu fiel Ihnen dies ein: »Das Dämonisieren von Rechtspopulisten hatte bisher keinen Erfolg. Egal, wie richtig es ist, dass die AfD gefährlich, radikal, extrem ist. Politiker, Journalisten, Demokratieverteidiger können das immer noch lauter und lauter rufen – aber es bringt nichts. Die berechtigten Warnungen sind inzwischen leere Formeln. Die Wahlergebnisse der AfD sind immer besser geworden, der Trotz immer erheblicher. Die Tatsache, dass sie sich beständig als Opfer von Medien inszenieren kann, hat der Partei genutzt. Es ist nicht die Aufgabe von Bettina Schausten, die AfD kleinzukriegen, sondern die der anderen Parteien. Sie sollten mal über den Tim-Walz-Weg nachdenken. Ist Björn Höcke etwa nicht weird

Ist er. Hitler war es auch, und ihn als »Anstreicher« (Brecht) oder inexistenten Krachmacher (Tucholsky) zu entdämonisieren, hat bekanntlich so viel gebracht, dass diese Sätze nie haben fallen müssen: »Man hat mich immer als Propheten ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen heute Unzählige nicht mehr, und die jetzt noch lachen, werden in einiger Zeit vielleicht auch nicht mehr lachen.«

Wegweisend winkt Titanic

 Katsching, Todd Boehly!

Sie haben sich von Ihrem sauer Errafften den englischen Fußballverein FC Chelsea angelacht, der Titel holen soll, allerdings unter Ihrer Leitung lediglich einen einstelligen Tabellenplatz im nationalen Wettbewerb vorzuweisen hat. Zur Generalüberholung der in der Mittelmäßigkeit versackten Blauhemden sind auf Ihr Geheiß für über eine Milliarde Euro insgesamt 39 Fußballer verpflichtet worden, womit der aktuelle Kader mindestens 44 Spieler umfasst (darunter zehn Torhüter, von denen laut derzeit gültigem Regelwerk leider trotzdem nur einer das Tor hüten darf).

Zu dem über Ihrer Truppe ausgekübelten Spott tragen wir allerdings nicht bei, aus unserem Mund also keine Mutmaßungen über beengte Verhältnisse unter der Dusche oder die vollen Körbe am Trikotwaschtag. Denn selbstverständlich wird ein ausgebufftes Finanzgenie wie Sie, Boehly, seine Gründe haben, viermal elf Freunde mit Verträgen, die zum Teil bis ins nächste Jahrzehnt laufen, auszustatten. Denn wissen wir nicht alle, dass in diesen unsicheren Zeiten das Geld auf der Bank am besten aufgehoben ist?

Guckt eh lieber von der Tribüne aus zu: Titanic

 Really, Winona Ryder?

Really, Winona Ryder?

In einem Interview mit der Los Angeles Times monierten Sie, dass einige Ihrer jungen Schauspielerkolleg/innen sich zu wenig für Filme interessierten. Das Erste, was sie wissen wollten, sei, wie lange der Film dauere.

Wer hätte gedacht, Ryder, dass Sie als Kind aus der Glanzzeit des Fernsehkonsums einmal die Nase rümpfen würden, weil junge Menschen möglichst wenig vor der Glotze sitzen und sich stattdessen lieber bewegen wollen? Davon abgesehen: Sind Sie sicher, dass sich die Abneigung gegen Cineastisches und das Verlangen, bereits beim Vorspann die Flucht zu ergreifen, nicht nur auf Werke beziehen, in denen Sie mitspielen?

Fragt sich Ihre Filmconnaisseuse Titanic

 Tatütata, LKA Niedersachsen!

»Ganz viel Erfolg morgen bei der Prüfung, liebe Karin«, sagt angeblich das gesuchte ehemalige RAF-Mitglied Burkhard Garweg gut gelaunt in einem Video, das bei der Fahndung im Presseportal unter der Rubrik »Blaulicht« veröffentlicht wurde. Die Fahnder/innen erhofften sich dadurch, so heißt es, neue Hinweise, und richten sich deshalb mit den Fragen an die Bevölkerung: »Wer ist ›Karin‹ bzw. ›Carin‹?« und: »In welchem Zusammenhang steht sie zu Burkhard Garweg?«. Schön und gut, da möchten wir nach einem derartigen Cliffhanger nun aber auch die Frage hinzufügen: Wie ist Karins Prüfung denn nun eigentlich gelaufen?

Hinweise an Titanic

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
Titanic unterwegs
05.10.2024 Kassel, TiF Max Goldt
05.10.2024 Berlin, Künstlerhof / Buchhändlerkeller Alt Lietzow Christian Y. Schmidt
06.10.2024 Berlin, Schloßparktheater Max Goldt
06.10.2024 Hannover, Pavillon Hauck & Bauer