Humorkritik | Januar 2024

Januar 2024

»Nichts Komischeres produziert der Kapitalismus als jene Menschen und Institutionen, die allen Ernstes ›an ihn glauben‹.«
Georg Seeßlen / Markus Metz, »Blödmaschinen«

Boxsäcke by Schroeder

»Schroeder darf alles« heißt eine neue öffentlich-rechtliche Satirereihe des beherzt dauergrimassierenden Comedians Florian S., und sie wendet sich an Menschen, »deren Moralkompass nicht nur in eine Richtung ausschlägt«. Ein Kompass, der in zwei Richtungen ausschlägt, sollte in die Reparatur; dessen ungeachtet hat Schroeder in einer seiner ersten Folgen gleich einmal versucht, eine differenzierte satirische Betrachtung zum Endlosthema »Woke vs. Unwoke« zu liefern. Nicht unstatthaft, wie ich meine; schließlich bemerke ich schon länger ein Phänomen, das ich mangels besserer Begriffe einmal »formatiertes Lachen« nennen möchte: Mit Böhmermann einverstandene Humorfreunde schalten Böhmermann ein, Nuhrfans Nuhr, und was herauskommt, ist oft nur Zustimmungsheischen und cheap applause – hier wider rechte Bösmenschen, dort gegen linke Beklopptheit.

Schroeder, der seine Sendung »Willkommen zur Woke-WM« nennt, verbringt die ersten zehn Minuten damit, über »alte weiße Männer« zu reden, um zu beweisen, er selbst sei keiner. Diese wollten nämlich andauernd Wörter sagen, die man dann überpiepsen muss, hätten Angst vor Zwangs-OP und Gendern, und sie müssten – hier die nicht rasant überraschende Wendung – weder alt noch männlich, sondern könnten auch jung und/oder weiblich sein. (Womit der Begriff eigentlich erfolgreich zerlegt wäre; aber warum ein gut eingeführtes Konzept wieder aufgeben?) Bis auf den Sendungstitel und ein frivoles Eingangszitat (»Achtung, fühlen Sie sich verletzt« o.ä.) würde das auch als Beitrag eines mittelambitionierten Böhmermann-Epigonen durchgehen. Jedoch erweist sich die Einleitung – Vorsicht, Kurve! – als sehr lange Captatio Benevolentiae, um mit gleicher Wucht und Häme die »Wokies« zur neuen Inquisition zu erklären, die lieber jammern und Opfer sein wollen, als mal anzupacken usw.

Kann man beides machen – man hat dann halt 1x Böhmi und 1x Nuhr. Da es aber keine Vereinigung gibt, die sich »Alte weiße Männer e.V.« nennt und keine Organisation namens »Die Wokies«, präsentiert Schroeder bloß zwei Zerrbilder, denen er nach Lust und Laune alles unterschiebt, was grad passt, und zwischen denen er sich prima äquidistant positionieren kann: »Die einen fühlen sich von den anderen unterdrückt, die anderen von den einen« – das ist einerseits so richtig, wie es sich andererseits nicht um zwei Gruppen handelt, die sich gut vergleichen ließen: Eine ist viel größer, die andere winzig, dafür mit größerem kulturellen Einfluss. Wer wo wann wen »unterdrückt«, ist dann (im Zweifel) eine Frage des Einzelfalls; wie es ja grundsätzlich immer schöner ist, wenn Polemik konkret wird, statt gegen Popanze auszuteilen. Die Anlässe gibt’s ja, und statt »alter weißer Mann« oder »bigotter Wokie« bevorzuge ich »Donald Trump« oder »Greta Thunberg«. (Auf Letztere kommt auch Schroeder irgendwann, und dann wird’s plötzlich stichhaltig.)

Dass es einfacher ist, selbstgebastelte Boxsäcke aufzuhängen, ist mir klar. Langweiliger ist es auch.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und Du, »Braunschweiger Zeitung«,

hast uns mit Deiner Überschrift »Diese beiden tödlichen Keime bekämpfen Forscher aus Braunschweig« einen kleinen Schrecken eingejagt. Viel lieber wäre uns in eh schon schweren Zeiten die Headline »Forscher aus Braunschweig bekämpfen diese beiden tödlichen Keime« gewesen.

Bitte auf uns arme Seelen achten, wünscht sich

Deine Titanic

 Grüß Gott, Söder!

Grüß Gott, Söder!

Wie schlossen Sie Ihr Statement vor dem israelischen Generalkonsulat in München, wenige Stunden, nachdem ein 18jähriger mit einem Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett auf dieses geschossen hatte und daraufhin von der Polizei erschossen worden war? Sie sagten: »Nochmals vielen Dank an alle Beteiligten!« Der Hauptbeteiligte, das war freilich der Attentäter – Ihre Danksagung lässt also tief blicken! Denn was täten Sie ohne durchgeknallte Islamisten mit anachronistischer Bewaffnung, die vom Rückstoß eines historischen Repetiergewehrs beinahe umgeworfen werden und von Ihrer Polizei spielend leicht umgenietet werden können?

Aber Obacht! Nicht dass Sie sich beim nächsten Mal zu noch offenherzigeren Reaktionen hinreißen lassen und zum Abschluss »So ein Tag, so wunderschön wie heute« anstimmen. Könnte möglicherweise missverstanden werden!

Meint Titanic

 Wenn Sie, Micky Beisenherz,

als Autor des »Dschungelcamps« gedacht hatten, Sie könnten dessen Insass/innen mit einer Scherzfrage aus der Mottenkiste zu der Ihnen genehmen Antwort animieren, dann waren Sie aber so was von schief gewickelt; die RTL-»Legenden« wollten Ihnen nämlich partout nicht den Gefallen tun, auf die Frage, womit sich Ornitholog/innen beschäftigten, einfach und platterdings »mit Vögeln« zu antworten.

Stattdessen kamen: »Was ist das denn?« oder »What the fuck …?«. Dafür zu sorgen, dass so aus Ahnungslosigkeit ein Akt des Widerstands gegen Ihre idiotische Fangfrage wurde, das soll Ihnen, Beisenherz, erst mal jemand nachmachen.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung: Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

 Njamm, REWE!

Da lief uns ja das Wasser im Mund zusammen, als wir in einer Deiner Filialen mit dieser Werbung beschallt wurden: »Der Sommer schmeckt nach Heinz«. Mmmh! Nach welchem denn? Heinz Rühmann? Heinz Erhardt? Heinz Rudolf Kunze? Oder gar Karl-Heinz Rummenigge? Worauf wir danach aber komischerweise gar keinen Appetit mehr hatten, war Ketchup.

Im Anschluss an diesen Brief haben wir gleich noch ein paar weitere Erledigungen zu machen und freuen uns schon auf Durchsagen wie »Der Herbst schmeckt nach Stuhl« bei Ikea, »Der Herbst schmeckt nach Eicheln« im Gartencenter, »Der Herbst schmeckt nach getrockneten Ochsenschwänzen« im Tierfutterhandel oder »Der Herbst schmeckt nach Linoleum« im Baumarkt!

Deine Heinzelmäuse von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

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Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
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