Humorkritik | Juli 2024

Juli 2024

»Laughter is to human soul, what water is to life«
Obaidur Rahman

Gelungener Drehreport

»Fiasco« ist der Titel einer Netflix-Serie, die aus Frankreich kommt und die dafür überraschend komisch ist. Typisch französisch sind die Mittel, mit denen der Zuschauer amüsiert wird, nämlich nicht, mit den bewährten Komödien von den »Sch’tis« bis zu »Monsieur Claude« hat »Fiasco« wenig gemein. Eher scheint es so, als habe Monty Python nach fünfzig Jahren endlich auch in Frankreich Nachfolger gefunden. Viele Gags sind derb, geschmacklos und albern. Und diese Albernheit, die vor nichts haltmacht, nehmen Kritiker der Serie besonders übel: Eine »bitterböse Satire« über das verlogene Filmgeschäft hätten manche angeblich lieber gesehen – ich bin da anspruchsloser.

»Fiasco« ist nicht der erste Versuch, die Herstellung eines Spielfilms in Serie zu erzählen. Gut in Erinnerung habe ich »Irma Vep«, einen Siebenteiler, in dem es um das prätentiöse Remake eines französischen Vampir-Stummfilms geht, und »The Offer«, eine Serie, die in zehn Teilen, based on a true story, die Produktion von »The Godfather« nachspielt. Der Vergleich lohnt: Am Set eines Blockbusters wie »Der Pate« geht es nämlich nicht anders zu als bei den Dreharbeiten zu einem abseitigen Arthouse-Film.

Diese Voraussetzung – dass die Produktion eines Spielfilms stets einer chaotischen Abwehrschlacht ähnelt – nutzt der Showrunner Igor Gotesman schamlos aus. Von Folge zu Folge findet er neue Wege, die zunächst geeignet scheinen, die endgültige Niederlage abzuwenden, dann aber nur um so sicherer zur bedingungslosen Kapitulation führen. Ein Promotion-Auftritt im Fernsehen, der als Durchfall endet, Product Placement im KZ, eine Versteigerung von »Mein Kampf« mit persönlicher Widmung des Autors – selbst für die unwahrscheinlichsten Wendungen des grausamen Schicksals liefert Gotesman eine Erklärung: Le corbeau (der Rabe) tut im Französischen das, wofür im Englischen wie im Deutschen the mole (der Maulwurf) zuständig ist: Er denunziert, intrigiert und sabotiert eine Unternehmung von innen, bis die schließlich komplett scheitern muss. »Fiasco« bedeutet ja in allen drei Sprachen dasselbe.

Doch es ist nicht bloß der Verräter, der den geplanten Film, dessen Inhalt nie so recht klar wird, auf halber Strecke verenden lässt. Mitverantwortlich ist ein ehrgeiziger Regisseur, der diesen Film eigentlich nur machen will, um seiner Großmutter ein Denkmal zu setzen und auch dem Rest seiner bäuerlichen Familie zu imponieren. Die halten ihn alle, inklusive Oma, für einen Versager – und das zu Recht. Pierre Niney, bisher in eher ernsten Rollen besetzt, spielt diesen Schmerzensmann als verklemmten Zwangscharakter, der stets das Gute will und nur das Peinliche schafft, eine Mischung aus Franz Kafka und dem jungen Otto Waalkes. Da er das ohne Augenzwinkern macht, wirkt er so komisch und am Ende womöglich sogar ein kleines bisschen rührend.

Auch die formale Idee, das Ganze als eine Art Making-of zu erzählen, wird nicht ernst genommen, taugt aber immerhin dazu, in Folge 7 einen Schluss zu finden, auf den ich auch selbst hätte kommen können.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ähm, »Radio Wuppertal«?

Vielleicht solltest Du aus Gründen der Motivationsförderung dem Online-Redakteur, der die Meldungen für Deine Internetseite abtippt, wenigstens Mindestlohn zahlen oder ihm ab und an eine warme Mahlzeit hinstellen. Denn sonst wird eine Überschrift wie »Messerangriff oder so in Unterbarmen« nicht die letzte ihrer Art gewesen sein.

Gut gemeinter Ratschlag oder so von Titanic

 Griaß Godd, baden-württembergisches Verkehrsministerium!

Ja, die schwäbische Tradition der Kehrwoche ist uns durchaus bekannt. Trotzdem wäre es uns lieber gewesen, Du hättest in Deiner Antwort auf die Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Jan-Peter Röderer darauf verzichtet, eine »desolate Sauberkeit« der Toiletten der Deutschen Bahn zu bemängeln. Allein schon aus Gründen der Sprachhygiene.

Besticht durch desolate Genauigkeit: Titanic

 Die Frage, »Spiegel«,

»Wer ist Nemo?«, die Du im Anschluss an den Eurovision Song Contest auf einem Sharepic verbreitetest, können wir Dir beantworten: ein Niemand.

Also kümmere Dich nicht weiter drum, rät Dir

Deine Titanic

 Hast Du das selbst gemacht, Bauhaus,

oder war’s eine Werbeagentur, die auf Dein Plakat mit dem Rasenmähroboter den verheißungsvollen Spruch »Einfach mal mähen lassen« gedruckt und uns damit schon fast überzeugt hatte, uns dann aber mit dem unmittelbar darunter positionierten Bauhaus-Slogan »Selbst gemacht tut gut« doch wieder vom Kauf abrücken ließ?

Fragen die OBI-Hörnchen von Titanic

 Los, los, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)!

In einer ersten Reaktion auf das berüchtigte Sylt-Gesangsvideo sagten Sie: »Wer Nazi-Parolen wie ›Deutschland den Deutschen – Ausländer raus‹ grölt, ist eine Schande für Deutschland.«

Da es für uns alle aber nichts Wichtigeres gibt, als Schande von Deutschland fernzuhalten, sollten Sie unbedingt versuchen, mit diesen im Grunde netten jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, damit sie zusammen mit Ihrer Regierung und der oppositionellen CDU demokratische Parolen grölen wie: »Die Integrationsfähigkeit des Landes darf nicht weiter überstrapaziert werden!«

Bitte keinesfalls zögern und zaudern, sondern sofort in die Tat umsetzen, damit den echten, den bösen Nazis endlich das Wasser abgegraben wird!

Rät ganz tief unten aus der Mitte der Gesellschaft: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Offene Fragen

Wenn man älter wird – also nicht mehr jung, aber noch nicht tot ist –, fängt man unweigerlich an, sich Gedanken über die noch offenen Fragen im Leben zu machen. Eine meiner: Was hat es mit dem Lied auf sich, das mir in meiner bedauerlicherweise in der Pfalz verbrachten Kindheit und Jugend immer wieder begegnet ist? Vorgetragen von Alkoholisierten verschiedenen Alters: »Wichs am Bee, wichs am Bee / Fasnacht is schon lang nimee« – zur Melodie des Narhallamarsches. Neben dem faszinierenden, aber eher unwichtigen Umstand, dass es im Pfälzischen möglich ist, »nicht mehr« auf »Bein« zu reimen, treibt mich die Frage um: Was genau bedeutet das: »Wichs am Bee, wichs am Bee / Fasnacht is schon lang nimee«? Liege ich richtig in der Annahme, dass der Autor dieses Liedes bedauert, sich selbst befriedigen zu müssen, weil die Fastnacht vorüber ist und – vermutlich – nicht mehr genug vom Alkohol derangierte Menschen verfügbar sind, um Sexualpartner abzugeben? Und wenn das so ist: Warum singen das so viele Leute nach? Ist das etwas, das vielen Pfälzer Männern so geht? Warum schaffen es pfälzische Männer außerhalb der Fastnacht nicht, Geschlechtsverkehr zu haben? Gut, am absolut sexualfeindlichen Dialekt könnte es liegen. Aber selbst dann bleibt die Frage: Warum wichst sich der Pfälzer aufs Bein? Um dann die Abwesenheit der sexbringenden Fastnacht zu beklagen – in Form der Fastnachtsmelodie schlechthin?

Man sieht: Es sind noch genug Fragen offen, dass wir nicht sterben müssen. Bitte beantworte sie niemand!

Tim Wolff

 Ungelogen

Allen, die nicht gut lügen können, aber mal einen freien Tag brauchen, sei folgendes Vorgehen empfohlen: Morgens beim Arbeitgeber anrufen und sich krankmelden mit der absolut wahrheitsgemäßen Begründung: »Ich habe Schwindelgefühle.«

Steffen Brück

 Morning Routine

Obst zum Frühstück ermöglicht einen gesunden Start in den Tag, aber wer keine Lust hat, sich schon morgens in die Küche zu stellen und Früchte zu schnippeln, dem empfehle ich stattdessen Snoozies.

Loreen Bauer

 Aufschieberitis

Ich schiebe alles gern auf, inzwischen sogar Erkrankungen: Der Nephrologe zeigte sich höchst erstaunt, wie lange ich schon an einer behandlungsbedürftigen Nierenbeckenentzündung laboriert haben musste, bis diese sich schließlich schmerzhaft bemerkbar gemacht und mich zu ihm geführt hatte. Wahrscheinlich leide ich an Prokrastinieren.

Thorsten Mausehund

 Beim Marktstand mit dem schlechten Verkäufer

»Entschuldigung, dürfte ich die zwei Gurken da hinten links haben und drei kleine Äpfel?«

»Nein!«

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
17.07.2024 Singen, Gems Thomas Gsella
19.07.2024 Hohwacht, Sirenen-Festival Ella Carina Werner
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«