Humorkritik | Juli 2024

Juli 2024

»Laughter is to human soul, what water is to life«
Obaidur Rahman

Haare zu Berge

Der Zeichner Obaidur Rahman, wohnhaft in Bangladesch, schickt mir einen Band seiner Cartoons. »Zinger Toonz: Dark n’ Twisted!!!« heißt das Werk, ist auf englisch bei »Sleek Publication« erschienen und feil für 300 bangladeschische Taka (2,38 Euro).

Ich weiß rein nichts über die Humorszene Bangladeschs. Aber was ich in dem Buch sehe, erkenne ich sofort als komische Standards wieder, die auch westlich des Brahmaputra verstanden werden, ja die mir fast allzu klassisch vorkommen: Da ist der Inselwitz; da ist der an den Handgelenken aufgehängte Kerkerhäftling; da sind die zwei Fische im Goldfischglas (»Bist du oft hier?«). Sogar der Kannibale mit Kochtopf, hierzulande nicht einmal mehr als Metawitz üblich, tritt bei Rahman noch in Erscheinung und fragt sein Opfer: »Any last wish?« (Antwort: »Can I update my C.V.?«) Ebenfalls einer westlichen Tradition entstammen die Szenen aus der überkandidelten Kunstausstellung, bei der die Besucher Kunstwerke nicht als solche erkennen oder das Gemälde selbst die Irritation vorwegnimmt, die es auslöst, wenn sein Inhalt bloß in dem Schriftzug »Ich verstehe dich auch nicht« besteht.

Witze über Christen, eine winzige Minderheit in Bangladesch, kommen mehrmals vor, insgesamt scheint Rahman aber hoffnungsloser Nihilist zu sein: »Wie hat Gott den Menschen erschaffen?« – »Er hat einen großen Haufen geschissen und vergessen zu spülen.« Sonderlich sensibel geht es hier nirgendwo zu, der Meine-Frau-ist-dick-Witz steht neben der groben Invektive gegen das Nachbarland Indien, und einer der unbehaglicheren Cartoons spielt vermutlich auf die Raffgier der Juden an (oder auf das Klischee darüber, das ist nicht recht zu entscheiden). Auch stilistisch fühlt man sich in vergangene Zeiten versetzt: Da stehen den Menschen vor Schreck die Haare zu Berge, dann wieder erscheinen Ruf- und Fragezeichen über den Köpfen. Lachen musste ich dennoch manchmal, etwa wenn Gevatter Tod einen verzweifelten, in der Kloschüssel feststeckenden Mann holen will und ihn fragt: »Könntest du dich bitte beeilen? Ich habe eine Deadline.« Die ärgerliche, von der Karikaturenseite der Süddeutschen bekannte Sitte, gezeichnete Gegenstände extra zu beschriften, bekommt hier frischen Reiz: nämlich dann, wenn sich ein unschuldig pfeifender Kerl mit Schaufel von einem Grabstein entfernt, auf dem »Browser History« geschrieben steht. »Master, how do I know if I am getting older and wiser?« fragt ein Schüler seinen Guru, und der entgegnet: »When you start searching for blooper scenes in Pornhub.« Ich weiser Alter würde sagen: Wenn du anfängst, im Befremdlichen das Lustige zu suchen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lass Dich nicht unter Druck setzen, »Stern«!

Du versuchst, dem Phänomen Taylor Swift auf den Grund zu gehen, und erklärst, was die Sängerin für Dich einzigartig macht: »Eine Sache, die es in der Musik so noch nicht gab: Nähe und Fühlbarkeit und den Wunsch, nicht mehr weghören zu wollen, wenn ein Lied von ihr im Radio läuft.«

Aber, Stern, Du musst Dich doch nicht verbiegen! Wenn Du nun mal weghören willst, wenn »Cruel Summer«, »I Knew You Were Trouble« oder »Anti-Hero« gespielt werden, darfst Du da auf Dich hören und diesem Bedürfnis Raum geben!

Versichert Dir und schickt obendrein noch ganz fühlbare Grüße:

Deine Titanic

 Easy, »Funk«!

In einem Instagram-Post zu den hohen Beliebtheitswerten der AfD unter Jugendlichen bringst Du es auf Deine gewohnt reflektierte Art auf den Punkt: »Manche jungen Leute haben sehr viel Angst vor Rechtsextremismus. Und gleichzeitig: Manche jungen Leute machen sich Sorgen vor einer ungebremsten Zuwanderung. Das heißt: Junge Menschen sind unterschiedlich. Manche sind eher links. Manche eher rechts. Surprised Pikachu Face.«

Und das muss man ja auch gar nicht immer gleich bewerten, sondern kann es erst mal einfach wertfrei wahrnehmen und anerkennen. Denn Menschen sind halt unterschiedlich und ihre Wahrnehmungen auch. Und es ist, nur so als Beispiel, genauso valide und gut, zu sagen, dass Funk eine wichtige Säule der demokratisch-freiheitlichen Meinungsbildung ist, wie die Aussage zu treffen, dass bei Dir ausschließlich jämmerlicher Arschkotzcontent produziert wird, den niemand braucht, weil die Leute, für die diese Posts gemacht sind, gar nicht existieren können, da sie einfach zu blöd zum Leben wären. Haben wir das richtig verstanden?

Fragendes Pikachu Face von Titanic

 Ähm, »Radio Wuppertal«?

Vielleicht solltest Du aus Gründen der Motivationsförderung dem Online-Redakteur, der die Meldungen für Deine Internetseite abtippt, wenigstens Mindestlohn zahlen oder ihm ab und an eine warme Mahlzeit hinstellen. Denn sonst wird eine Überschrift wie »Messerangriff oder so in Unterbarmen« nicht die letzte ihrer Art gewesen sein.

Gut gemeinter Ratschlag oder so von Titanic

 Recht hast Du, Influencerin Tina Ruthe!

»Das hat einfach niemand verdient.« Mit diesem Satz kommentiertest Du in Deiner Insta-Story ein Bild, das ein brennendes Geflüchtetenlager in Rafah zeigte, und setztest noch ein Herz-Emoji dazu. Da können wir Dir nur zustimmen: Es hat wirklich niemand verdient, der gerade in einem Kriegsgebiet um sein Leben fürchten muss, als Content einer Influencerin herzuhalten und damit die Reichweite der kurz darauf geposteten Rabattcodes für die Shoppingbag in Leo-Optik zu pushen.

Stellt fest:

Deine Menschenrechtskommission von Titanic

 Hast Du das selbst gemacht, Bauhaus,

oder war’s eine Werbeagentur, die auf Dein Plakat mit dem Rasenmähroboter den verheißungsvollen Spruch »Einfach mal mähen lassen« gedruckt und uns damit schon fast überzeugt hatte, uns dann aber mit dem unmittelbar darunter positionierten Bauhaus-Slogan »Selbst gemacht tut gut« doch wieder vom Kauf abrücken ließ?

Fragen die OBI-Hörnchen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Ratschlag

Nach dem Essen, vor dem Paaren
niemals deinen Leib enthaaren!
Lieber schön beim Lakenfleddern
ineinander tief verheddern,
richtiggehend geil verstricken,
durch das Buschwerk nicht mehr blicken
und nach sieben langen Nächten
sorgsam auseinanderflechten.

Ella Carina Werner

 Aufschieberitis

Ich schiebe alles gern auf, inzwischen sogar Erkrankungen: Der Nephrologe zeigte sich höchst erstaunt, wie lange ich schon an einer behandlungsbedürftigen Nierenbeckenentzündung laboriert haben musste, bis diese sich schließlich schmerzhaft bemerkbar gemacht und mich zu ihm geführt hatte. Wahrscheinlich leide ich an Prokrastinieren.

Thorsten Mausehund

 Ungelogen

Allen, die nicht gut lügen können, aber mal einen freien Tag brauchen, sei folgendes Vorgehen empfohlen: Morgens beim Arbeitgeber anrufen und sich krankmelden mit der absolut wahrheitsgemäßen Begründung: »Ich habe Schwindelgefühle.«

Steffen Brück

 Körper-Wunder Mensch

Wussten Sie schon, dass Finger- und Zehennägel den Hauptteil ihres Wachstums ausgerechnet in der Zeit, während der man nicht hinsieht, absolvieren? Man lernt nie aus …

Theobald Fuchs

 Dritter Weltkrieg?

Warum eigentlich nicht? Aller guten Dinge sind drei.

Dorthe Landschulz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.07.2024 München, Astor Kino Filmpremiere »Hallo Spencer – der Film«
17.07.2024 Singen, Gems Thomas Gsella
19.07.2024 Hohwacht, Sirenen-Festival Ella Carina Werner
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler