Humorkritik | Juni 2024
Juni 2024
»›Parodieren‹ kann man gerade das Höchste, aber das heißt nicht, daß der Komiker, der dies tut, für die Legitimität des hohen Stiles an seinem Ort unempfänglich wäre, sondern eher heißt es das genaue Gegenteil!«
Otto Seel
Homerkritik
Schnurren und Histörchen: Als alten Humorkritiker freut es mich, diese beiden Wörter wieder einmal verwenden zu können. Beide Erzählformen sind so gut wie ausgestorben. Und das ist gut so. Eine ganze Sammlung davon kann man heute niemandem mehr zumuten. Deshalb habe ich es auf mich genommen, das rororo-Bändchen 625 »Humor seit Homer – Die ältesten Witze der Welt« von 1964 zu lesen und zu bewerten, das nicht nur die erwähnten Histörchen und Schnurren bündelt, sondern auch »Reparties, Bonmots, Facetien, Schwänke, Apophthegmata« – Sie verstehen. Dem Autor (höchstwahrscheinlich ein Mann) war sein Werkchen wohl selbst peinlich, weshalb er statt seines Namens drei Sternchen angab. Der Grafiker, der das zeittypische und nicht einmal üble Titelblatt entwarf, wollte sich auch nicht aus der Deckung wagen. Er nannte sich »Hicks«. Na, Prost!
Humor ist abhängig von Zeit und Kultur, Witzesammlungen aus anderen Kulturen und Zeiten sind deshalb – fast zwangsläufig – zum Gähnen unkomisch. So auch die hier gesammelten. Sie lassen die Leser ratlos zurück mit der Frage, ob sie begriffsstutzig sind. Man kann da etwa so was lesen: »Der Dichter Jean-Baptiste Rousseau schrieb eine ›Ode an die Nachwelt‹. Meinte Voltaire: ›Dieses Gedicht wird nicht an seine Adresse gelangen.‹« Was ist daran witzig? Was humorvoll? Ich kapier’s nicht. Von der heute noch knapp verständlichen Komik des berühmten Kynikers Diogenes lebt immerhin diese Anekdote: »Ein reicher Mann stellte sich Diogenes in den Weg und rief: ›Ich weiche keinem Schurken aus.‹ ›Aber ich‹, antwortete Diogenes und trat zur Seite.« Na ja.