Humorkritik | Mai 2024
Mai 2024
»Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Prometheus des Äschylus, mußten noch einmal komisch sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.«
Karl Marx
Funkeln mit Furunkeln
Wenn man nicht gerade Thomas Mann heißt und bei der Beschäftigung mit den Klassikern eine sinnschwere Novelle über Schiller mit dem programmatischen Titel »Schwere Stunde« ausbrütet, scheinen ebendiese Klassiker eher dazu zu animieren, sie vom berüchtigten Sockel zu holen. Naturgemäß wurde primär Goethe zum Opfer solcher Profanisierungsunternehmungen – von Friedrich Theodor Vischers »Faust. Der Tragödie dritter Teil« über Egon Friedells hinreißendes Dramolett »Goethe«, in welchem dieser mit Aplomb durch eine Abiturprüfung zum Thema Goethe rasselt, bis in die jüngere Vergangenheit, in der zum Beispiel Robert Löhr in seiner lustigen Mantel-und-Degen-Travestie »Das Erlkönig-Manöver« Goethe und Schiller zu Fechtmeistern mutieren ließ.
Wenn nun Charles Lewinsky, ein sehr fleißiger und versierter Schweizer Autor, seinen Roman »Rauch und Schall« (Diogenes) mit dem Satz »Goethe hatte Hämorrhoiden« eröffnet, dann wissen wir, was uns auf den folgenden 295 Seiten erwartet: ein Goethe, der so gar nichts vom Olympier und Dichterfürsten hat, dafür handfeste irdische Probleme. Das anale Jucken ist dabei seine geringste Sorge; viel schlimmer, dass er, just von seiner dritten Schweizer Reise heimgekehrt, an einer heftigen Schreibblockade laboriert. Nicht einmal die banalsten Gelegenheitsgedichte zu höfischen Huldigungszwecken wollen ihm gelingen, von Literatur ganz zu schweigen. Goethe fürchtet, »im Serail der Künste künftig nur noch als Eunuch geduldet zu werden, unfruchtbar wie ein Ochse«. Ausgerechnet sein mediokrer Schwager Christian August Vulpius, der in Serie Trivialromane produziert, zu Goethes Entsetzen manchmal gar an mehreren gleichzeitig schreibt und sowieso keinerlei Skrupel und Ansprüche kennt, wird zum lebens-, weil arbeitsrettenden Coach des Geheimrats, welcher eigentlich mit seinem peinlichen Verwandten nichts zu tun haben wollte. Aber dann kommen sich die beiden ungleichen Kollegen näher und der eine entdeckt am anderen charakterliche Vorzüge, die nicht zu erwarten waren: Vulpius ist gar nicht so blöd, wie Goethe dachte, und Goethe ist, nun ja: ein netter Mensch.
Das ergibt dann einen mehr als netten Roman, weil Lewinsky das Timing beherrscht, funkelnde Dialoge und originelle Ideen bringt und vor allem nie das Gesetz aus den Augen verliert, wonach Komik aus Kontrast und Fallhöhe entsteht, beispielsweise jener zwischen Klischee und Realität oder zwischen Genie und Mittelmaß. Lewinsky macht aus seinem Stoff perfekt geschneiderte gehobene Unterhaltungsliteratur inklusive unpeinlichem Happy End, nicht mehr und nicht weniger. Weil das nicht selbstverständlich ist, kann man’s nicht genug rühmen. Da hätte sogar Thomas Mann geschmunzelt. Vielleicht.