Humorkritik | November 2024
November 2024
»Der Witz ist das einzige Ding, was um so weniger gefunden wird, je eifriger man es sucht.«
Friedrich Hebbel
Krug und Goliath
Im dritten Band der im Kanon-Verlag erscheinenden, vergnüglich zu lesenden Tagebücher des Sängers, Schauspielers und Autors Manfred Krug habe ich mir gleich vorn, unterm 5. Februar 2000, eine Stelle angestrichen: »Er macht zu viel«, heißt es da über den Jazzgitarristen und Sänger Peter Fessler. »Wie die Schauspieler, die zu viel machen. Daß man alles kann, muß noch lange nicht dazu führen, daß man alles vorzeigt. Er singt sich selbst an die Wand.«
Das ist exakt das, was Frank Schulz’ neues Romanwerk »Amor gegen Goliath« (Galiani) über weite Strecken so anstrengend macht, und ich bin bekanntlich Fan. Schulz kann alles, aber kein Lektorat hat ihm verboten, alles vorzuzeigen, und also schreibt sich diese rare Begabung über Hunderte von Seiten an die Wand und sitzt dabei dem Missverständnis auf, die Übereinkunft, dass wir wissen, dass er weiß, dass er sich an die Wand schreibt und in ungebremstem Manierismus alliteriert, die Assonanzen knallen lässt und Parenthese in Parenthese in noch einmal Parenthese setzt, reiche, uns bei der Stange zu halten, unabhängig davon, ob die mit allerlei Realvorfällen, Wissenschaft und Youtube-Funden angereicherte Geschichte um Klimaaktivismus, Corona, Depression und Liebe irgendeine Eigenspannung entwickelt. Das tut sie leider erst nach reichlich der Hälfte der 740 Seiten, und vorher um so weniger, als die selbsttherapeutische Dimension zu klar zutage liegt, wenn die angstgestörte unter den Hauptfiguren wie Schulz als Künstler in Osnabrück sitzt.
Im Tagebuch des proletenstolzen Ex-DDRlers und Westberliners Krug, der sich für Fleischmahlzeiten und Einschaltquoten interessiert und dessen Tageskommentare den sog. gesunden Menschenverstand für sich in Anspruch nehmen, eine zweite Stelle: »Ich habe zum Beispiel mit 35 Jahren beschlossen, nie wieder zu lügen. Seither haben die Freunde lernen müssen, daß man Fragen, die man an mich stellen möchte, besser sorgfältig auswählt. Denn wenn ich nicht gerade schweige, um den Fragenden zu schonen, kann er fest mit einer ehrlichen Antwort rechnen. Allein dieses Verfahren sortiert schon eine Menge Freunde aus, und es hindert viele potentielle Neuzugänge daran, diesen Status überhaupt anzustreben.« Das Sagen-was-Sache-ist ist natürlich auch eine Manier, die sich selbst genügt (»Religionen sorgen immer wieder und seit Jahrtausenden für Haß«), und Selbsttherapie ist ein Journal allemal, aber eine, die mit dem doppelten Boden, den sie nicht zu haben behauptet, schlecht kokettieren kann.
Der gegenteilige Fall ist der dreifache Boden unter einem leeren Zimmer, denn wenn ich nicht gerade schweige, um den Fragenden zu schonen, kann er fest mit einer ehrlichen Antwort rechnen. Selbst wenn er gar nicht gefragt hat.