Humorkritik | November 2024
November 2024
»Der Witz ist das einzige Ding, was um so weniger gefunden wird, je eifriger man es sucht.«
Friedrich Hebbel
Spießig und spaßig
Wenn er nicht am 19. Januar 1576 mit 81 Jahren gestorben wäre, würde Hans Sachs am 5. November 530 Jahre alt werden. Und es gibt noch größere Zahlen, die sich zu dem 1496 geborenen Nürnberger Schuhmacher und Poeten in Bezug setzen lassen, die 6000 zum Beispiel. Allerdings reicht selbst die nicht ganz, um anzugeben, wie viele Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtspiele und Schwänke der Jubilar zusammengeleimt hat. Viel Komisches ist aus heutiger Sicht nicht dabei, schon weil die fränkische Knittelversmaschine oft eine kleinbürgerliche, spießige Morallehre an ihre Texte klebte; aber manchmal konnte es durchaus passieren, dass Sachs nüchtern und sachlich die ulkige Realität einfing. Und so stachen sie dem Städter auf einer Dorfkirmes ins Auge, die bäurischen, »also großen Nasen / gleißend und rot kupfren und knöckret, / voll Engerling, wimmret und höckret, / bucklet, henket, lang, dick und krumm, / mürret, münket, breit, plüntsch, kurz’rum / zinket, haket, knorret und knollet, / drieeckicht, viereckicht und trollet, / so unfüg«.
Wie mürret, münket, plüntsch die Sprache auch ist, eine Spezialität dieses Versmachers war das, was der schwäbische Literaturexperte G. W. F. Hegel abschätzig die »Vernürnbergerung« des Großen und Erhabenen nannte. Die aber kann, anders als die Verschwäbelung der Philosophie, komisch sein. So hat sich in dem Schwank »Die ungleichen Kinder Eve« nach dem Umzug aus dem Paradies hoher Besuch angemeldet: Gott. Hausvater Adam befiehlt drum seiner Gattin, Kinder und Haus sauber herzurichten, doch während Musterknabe Abel artig folgt, verweigert sich Kain, »der Wüstling und bös Galgenstrick«, um mit seinen Kameraden zu spielen; bei der Begrüßung verstößt er sogar doppelt gegen die Etikette, als er nicht das »Hütlein« abnimmt und dem hohen Gast die Linke reicht. So geht es abschreckend lehrhaft und angenehm albern weiter, zumal der Lümmel nicht einmal ordentlich beten kann: »O Vater Himmel unser, / laß uns dein Reich geschehen, / in Himmel und in Erden sehen, / gib uns Schuld und täglich viel Brot, / und alles Übel, Angst und Not. Amen.« Wahr gesprochen!
Dass H. Sachs es nicht spaßig meinte, sondern tief moralisch – geschenkt. Doch auch seine Ernsthaftigkeiten waren nicht immer wohlgelitten. Beim Nürnberger Stadtrat handelte er sich mehrmals Druck- und Publikationsverbote ein, und kaum war er gestorben, wurden im Nachlass »etlich gedicht und sonderlich zween pasquillos« beschlagnahmt. Könnte also sein, dass Hans Sachs zu lesen sich ab und zu lohnt.