Humorkritik | Oktober 2024

Oktober 2024

»Well, just being stupid and politically incorrect doesn’t work. You can be politically incorrect if you’re smart.«
Mel Brooks

Reality-TV-Parodie als Feminismus-Bootcamp

So in etwa ließe sich wohl die von Ina Kersten produzierte und erdachte Serie »Player of Ibiza« zusammenfassen, immerhin wurde hier mit bescheidenen Mitteln eine kurzweilige Miniserie gefertigt. Dabei geht es in Mockumentary-Manier in eine Villa in Buchholz. Von den inzwischen doch leicht abgedroschen wirkenden Stilmitteln wie den Genervtheit und Fremdscham signalisierenden Blicken in die vermeintliche Dokukamera nach peinlichen Manövern der Kollegen sowie der zu Beginn sehr klassisch anmutenden Typenkonstellation sollte man sich nicht abschrecken lassen.

»Player of Ibiza« stammt vom Produzententrio »Kleine Brüder«, das auch schon »Die Discounter« gedreht hat. Die beiden Serien gleichen einander in ihrer Machart so sehr, dass ich den obigen Absatz – Eigennamen und Ortsbezeichnungen ausgenommen – 1:1 meiner damaligen Besprechung (TITANIC 2/22) entnehmen konnte. Inhaltlich tut sich freilich Neues: Die fiktive Trash-TV-Show »Player of Ibiza« wird für eine Ausgabe zu einem Bootcamp, das aus eingefleischten Sexisten Feministen machen soll. Vor und hinter der Kamera begleiten wir also verschiedene Typen von Machos – einen Schnösel und Opportunitätsfeministen, einen Incel-Gamer, einen angeblichen Über-Moslem, einen prolligen Pumper und einen Möchtegern-Rapper – dabei, wie sie in verschiedenen Challenges das infrage stellen sollen, was im Diskurs »fragile Männlichkeit« heißt. Angeleitet werden die Jungs von der durchweg weiblichen Filmcrew und der Moderatorin, die an ihren Teilnehmern, dem aus dem Ruder laufenden Dreh und der (Meta-)Frage, ob man mit Feminismus überhaupt Geld verdienen sollte, regelmäßig verzweifeln. Der v. a. an Quote und Geld interessierte Chefredakteur sitzt ihnen dabei fest im Nacken, baggert die Regisseurin immer wieder an und nennt sie »Mäuschen«.

Zwei drohenden Versuchungen widerstehen die Macher: Zum einen zeigen sie, statt sich bloß über sie lustig zu machen, auch die Schwächen ihrer Figuren, beispielsweise, dass Schnösel Anthony bis auf seine Putzfrau keine Freunde hat. Zum anderen nutzen sie diese Schwächen nicht als Rechtfertigung für das mannigfaltige Fehlverhalten der Kerle. Dass diese allesamt recht schablonenhaft gezeichnet sind, ergibt zwar innerhalb der Serien- und Fiktionslogik Sinn – schließlich sind sie genau für dieses Format gecastet – , lässt aber hin und wieder vergessen, dass man es in der echten Welt eher selten mit derart sortenreinen Exemplaren zu tun hat. So kommt die Aufklärung und (Selbst-)Erkenntnis mitunter kürzer als der Spaß an der Karikatur: Jemand wie der Incel Jeppe, der sich eine Partnerin bloß als unterwürfige Hausfrau vorstellen kann, gehört dem eigenen Bekanntenkreis dann (vermutlich) doch nicht an. Aber es geht auch ambivalenter, wenn sich etwa ein vermeintlich besonders einfühlsamer Männlichkeitscoach als Chauvinist neuen Typs herausstellt. (Der eher unoriginelle Witz, dass er ständig einen Safe Space für Männer fordert, wird allerdings überstrapaziert.)

Am besten klappt das angestrebte Augenöffnen denn auch dort, wo die Realität zur Geltung kommt. Etwa an einem Pornoset, wo die (echte) Porno-Produzentin Paulita Pappel den Herren erläutert, was in ihrer, Pappels, Branche alles falsch läuft, und man nicht nur der Pointe wegen gespannt zuhört. Die besteht dann darin, dass Pappel detailliert ausführt, warum Pornos nicht in die ARD-Mediathek gelangen könnten, während im Hintergrund gut sichtbar ein Porno gedreht wird. Überprüfen Sie das gerne – in der ARD-Mediathek.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Stefan Schlatt, Reproduktionsbiologe an der Uni Münster!

Sie gaben im Zeit-Wissensteil ein ganzseitiges Interview, das wie folgt betitelt wurde: »Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes«. Eine billige Masche der Zeit, mit einer bizarren Überschrift Neugier zu wecken, das war uns sofort klar. Dennoch wollten wir natürlich wissen, in welchem Zusammenhang Sie das oben Zitierte von sich gaben.

»Der Testosteronspiegel des Mannes geht nur langsam zurück, vor allem, weil er im Alter immer dicker wird und nicht mehr so gesund ist wie mit 25. Dies zeigt sich dann an der Hormonproduktion im Hoden. Bergleute haben früher Kanarienvögel mit unter Tage genommen, die Alarm schlugen, wenn die Luft dünner wurde. Man könnte sagen: Der Hoden ist der Kanarienvogel des Mannes.«

Wo sollen wir anfangen, Schlatt? Der Kanarienvogel diente Bergleuten als Indikator für die sinnlich nicht wahrnehmbare Gefahr der Kohlenmonoxidvergiftung. Diese soll in Ihrer Metapher wohl der niedrige Testosteronspiegel sein, der nicht etwa durch das Übergewicht, sondern nur durch den Hoden zu erkennen ist. Und das geschieht wie, Schlatt? Schlägt der Hoden Alarm, indem er laut zwitschert? Sind die Kanarienvögel unter Tage nicht vielmehr verstummt und tot umgefallen? Und was ist in Ihrer Analogie eigentlich der Käfig für den singenden Hoden?

Fest steht hier im Grunde nur eins: Bei Ihnen piept es gehörig – im Kopf und in der Hose.

Tirili: Titanic

 Mal halblang, Polizei Düsseldorf!

Irgendwie war ja zu erwarten, dass Du Dich in Deinen Ermittlungen zum Anschlag in Solingen von rassistischen Debatten und wütenden Rufen nach Massenabschiebungen beeinflussen lässt. Wenn Du in einem Aufruf an die Bevölkerung aber auch noch um »Angaben zur Herkunft der abgebildeten Regenjacke« bittest – gehst Du damit nicht ein bisschen zu weit?

Deine Sittenwächterin von der Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Alle meine Aversionen

Was ich überhaupt nicht schätze:
»Mädchen, ich erklär dir ...«-Sätze.

Was ich nicht so super finde:
Bluten ohne Monatsbinde.

Was ich gar nicht leiden kann:
Sex mit einem Staatstyrann.

Den Rest, auch Alkoholkonzerne,
mag ich eigentlich ganz gerne.

Ella Carina Werner

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

Titanic unterwegs
27.09.2024 Siegen, Lyz Hauck & Bauer und Thomas Gsella
27.09.2024 Troisdorf, KÜZ-Festival Martin Sonneborn
28.09.2024 Weinsberg, Traumplatzfest Thomas Gsella und Hans Zippert
01.10.2024 Oldenburg, Kunstverein Bernd Eilert mit Franziska Augstein