Humorkritik | September 2024

September 2024

»Ich finde es erheiternd, dass wir alle keine Ahnung haben, Erklärungsversuche machen, an höhere Gesetze glauben, eine Religion suchen. Einen Sinn, einen Halt, in diesem Furz von absurdem Leben.«
Sibylle Berg

Normalos

Der französische Komiker und Schauspieler Artus, eigentlich Victor Artus Solaro, hat mit dem Film »Was ist schon normal?« (ab 5. September im Kino) erstmals ein von ihm selbst verfasstes Drehbuch verfilmt und konnte damit – als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller zugleich – bisher über neun Millionen Menschen in die französischen Kinos locken. Im Mittelpunkt des Films steht eine Gruppe geistig behinderter Erwachsener, die einen mehrwöchigen gemeinsamen Sommeraufenthalt in einem Ferienhaus im Grünen antreten will. Während sie noch auf den fehlenden Sylvain warten, den die Gruppenbetreuerinnen nicht kennen, kommen zufällig zwei Gangster vorbei, die gerade eine Bank ausgeraubt haben und sich vor der Polizei verstecken müssen. Sie behaupten, der fehlende Sylvain und sein Betreuer zu sein, und schleichen sich so in Reisegruppe und -bus ein. So unglaubwürdig geht es weiter, etwa wenn plötzlich der Verlobte der hübschen Gruppenleiterin Alice auftaucht und eine Nebenhandlung beginnt, in der Alice mit ihm nach Amerika ziehen will und deshalb die Gruppe verlassen muss. Als sie von diesem Plan wieder abkommt, verschwindet der Verlobte samt Nebenplot so schnell, wie er gekommen ist. Auch einige stereotype Scherzfiguren hätte sich Artus sparen können, beispielsweise den dicken, vertrottelten Kollegen, der sich in Alice verliebt und sich dabei fortwährend blamiert.

Warum ist »Was ist schon normal?« trotzdem ein lustiger Film? Es liegt an den Behinderten und der Regieentscheidung, diese in den Mittelpunkt zu rücken. Sie sind nämlich keine Schauspieler, sondern Laiendarsteller, also wirklich geistig Behinderte, und Artus betreibt einigen Aufwand, sie auch als Charaktere zu entwickeln. Er zeigt ihre Macken und Schrullen, ihre ungefilterten Gefühlsausbrüche – und dass sie sich über die Narrenfreiheit, die sie genießen, durchaus im Klaren sind. Dass für sie gewisse Höflichkeitsregeln und gesellschaftliche Konventionen nur eingeschränkt gelten, wird weidlich ausgenutzt, wenn etwa der unfreundliche Besitzer des Ferienhauses mit »Er ist ein Arschloch«-Sprechchören begrüßt wird. Auch die Betreuerinnen im Film sind von einer angenehmen Derb- und Direktheit. Alice holt, als sich jemand darüber aufregt, sie hätte unerlaubt den Behindertenparkplatz benutzt, als Antwort einen ihrer Klienten aus dem Auto und pöbelt zurück: »Ist das behindert genug?« Es ist ein bisschen schade, dass die Haupt- und Nebenhandlungen des Films recht unplausibel sind und nur den Sinn haben, die lustigen Momente, die die Laiendarsteller produzieren und für die Artus einen guten Blick hat, irgendwie zusammenzuhalten. »Stringenter erzählt« hätte in diesem Fall ziemlich sicher bedeutet: »noch lustiger«.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Standhaft, brandenburgischer CDU-Landesvorsitzender Jan Redmann!

Sie wurden mit 1,3 Promille Atemalkohol auf einem E-Scooter erwischt und entsprechend zu einer Strafe verdonnert. Daraufhin gaben Sie zu Protokoll, zu »diesem Fehler zu stehen« und die »Konsequenzen, insbesondere die Strafe« zu tragen. Das ist ja geradezu heldenhaft. Wir waren davon ausgegangen, dass Sie den Inhalt des Polizeiberichts leugnen, den Staat um die Strafzahlung prellen und sich ins Ausland absetzen würden.

Hätte dann vielleicht sogar Sympathie für Sie entwickelt: Titanic

 Gute Güte, sehr unverehrter Hassan Nasrallah!

Gute Güte, sehr unverehrter Hassan Nasrallah!

Sie sind Chef der Hisbollah, und ein neues Propagandavideo Ihrer freundlichen Organisation war mit einem Satz unterlegt, den Sie bereits 2018 gesagt haben sollen: Die Hisbollah besitze »Präzisions- und Nicht-Präzisionsraketen und Waffenfähigkeiten«, die Israel »mit einem Schicksal und einer Realität konfrontieren werden, die es sich nicht ausmalen kann«.

Das, Nasrallah, glauben wir, verkörpern Sie doch selbst eine Realität, die wir agnostischen Seelchen uns partout nicht ausmalen können: dass das Schicksal von Gott weiß wie vielen Menschen von einem Knall- und Sprengkopf wie Ihnen abhängt.

Ihre Präzisions- und Nicht-Präzisionsraketenwerferin Titanic

 Tagesschau.de!

»Sei nicht immer so negativ!« wollten wir Dir schon mit auf den Weg geben, als Du vermeldetest: »Juli stellt knapp keinen Temperaturrekord auf«. Auf Schlagzeilen wie »Zehnkämpfer Leo Neugebauer erringt in Paris knapp keine Goldmedaille«, »Rechtsextremer Mob erstürmt im nordenglischen Rotherham knapp kein potentiell als Asylunterkunft genutztes Hotel« oder »19jähriger Islamist richtet bei Taylor-Swift-Konzerten in Wien knapp kein Massaker an« hast Du dann aber doch verzichtet.

Es gibt sie also noch, die positiven Nachrichten.

Vor allem von Titanic

 Gut möglich, lieber spiegel.de,

dass es an der drückenden Hitze liegt. Doch wenn wir in Deinem Ratgeber-Artikel »So schützen Sie Ihr Gehirn bei hohen Temperaturen« lesen, wie wir uns im Sommer »gehirngerecht« verhalten können, dann rauchen uns die Köpfe. Haben wir uns unseren Hirnen gegenüber schon häufiger unangemessen aufgeführt? Hätten die grauen Zellen nicht auch von selbst an unser Fehlverhalten denken können? Und vor allem: Ist es jetzt nicht am wichtigsten, unsere Gehirne vor weiterem Spiegel-Konsum zu schützen?

Schließt eiskalt den Browser: Titanic

 Was soll das, Ameisen?

Was soll das, Ameisen?

Wie Forscher/innen herausfanden, seid Ihr in der Lage, bei Artgenossinnen Beine durch Abbeißen zu amputieren, um so tödliche Infektionen zu vermeiden. Chirurgische Eingriffe! Geht’s noch? Habt Ihr Euch mal überlegt, wie es uns damit geht? Als Spezies, die für ihren jetzigen Stand in der Medizin Jahrtausende an Forschung gebraucht hat?

Fragt pikiert die Krone der Schöpfung auf der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Schock total

Wenn im Freibad dieser eine sehr alte Rentner, der sich beim Schwimmen kaum fortzubewegen scheint, der bei seinen zeitlupenartigen Zügen lange untertaucht und von dem man dachte, dass er das Becken schon vor langer Zeit verlassen hat, plötzlich direkt vor einem auftaucht.

Leo Riegel

 Fachmann fürs Leben

Im Gegensatz zur Schule hat man im Zivildienst viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass man die Körper von Menschen, die sich selbst nicht mehr bewegen können, regelmäßig umlagert, damit keine Seite wund wird. Um anhaltenden Druck auf die Haut zu minimieren, wende ich auch heute noch die Pfirsiche in der Obstschale alle paar Stunden.

Friedrich Krautzberger

 Etwas Heißem auf der Spur

Jedes Mal, wenn ich mir im Hochsommer bei herabgelassenen Rollläden oder aufgespanntem Regenschirm vergegenwärtige, dass das Leben in unseren versiegelten Städten auf entsetzlich wechselhafte Weise öde und klimatisch vollkommen unerträglich geworden ist, frage ich mich unwillkürlich: TUI bono?

Mark-Stefan Tietze

 Treehuggers

Bei aller Liebe zum Veganismus: Plant Parenthood geht mir zu weit.

Sebastian Maschuw

 Schierlingsbücher

Kaum jemand erinnert sich an das allererste selbstgelesene Buch. War es »Wo die wilden Kerle wohnen« oder doch Grimms Märchen? Schade, denke ich mir. Es könnte eine Wegmarke in die wunderbare Welt der Bibliophilie sein. In meiner Erinnerung wabert stattdessen leider nur ein unförmiger Brei aus Pixibüchern. Diesen Fehler möchte ich am Ende meines Leselebens nicht noch einmal machen. Und habe mir das Buch »Essbare Wildpflanzen« bestellt.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
Titanic unterwegs
19.09.2024 Berlin, Kulturstall auf dem Gutshof Britz Katharina Greve
19.09.2024 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer
24.09.2024 Oldenburg, Jasper-Haus Bernd Eilert
24.09.2024 Stade, Stadeum Hauck & Bauer und Thomas Gsella