Boule in Burladingen
Vor einem Jahr übergab Wolfgang Grupp die Leitung von Trigema an seine Kinder. TITANIC stattet ihm einen Besuch ab und protokolliert, wie ein ganz normaler Tag im Leben von Deutschlands rüstigstem Rentner aussieht.
06:00 Zwei Stunden ist die senile Bettflucht mittlerweile her. Grupp bügelt heute besonders leise, da die Kinder "einen anstrengenden Tag bei einem lokal produzierenden Familienunternehmen" vor sich hätten. Sein Tagesablauf habe sich inzwischen "eingeschliffen", wir kämen zu einem günstigen Zeitpunkt.
06:05 Während des Bügelns schaut Grupp die Wiederholung von "Hartz Rot Gold - Armutskarte Deutschland" mit Kopfhörern. Er wirkt wütend, schreit "Faules Pack!" und weckt so die Familie auf. Ob er mit dem Ausruf letztere oder die Darsteller*innen der Sendung gemeint hat, bleibt unklar. Bonita und Wolfgang Jr. schleppen sich in Schimpansenprint-Pyjamas mit gesenkten Häuptern am Patriarchen vorbei. Ehefrau Elisabeth ermahnt die Kleinen dazu, ihren "Herrn Vater gefälligst ordentlich zu grüßen". Es folgen kurze Verbeugungen.
07:10 Wolfgang Grupp schickt die Kinder mit ihren Schimpansenprint-Brotbüchsen in die Firma. Er legt sich ein Kissen aufs Fensterbrett, schaut ihnen beim Arbeitsweg zu und murmelt: "Geht es noch ein bisschen langsamer?" Dann liest er Kommentare unter Youtube-Zusammenschnitten seiner Talkshowauftritte: "Tut gut, das hin und wieder aufzugoogeln."
08:00 Grupp ignoriert gekonnt die fast flehentlich vorgetragene Bitte seiner Frau, sie zur Wassergymnastik zu begleiten. Sie erinnert an die ärztliche Empfehlung bezüglich seiner Rückenprobleme. Wolfgang Grupp schreit: "Verdammter Quacksalber!" Stark gekrümmt widmet er sich kopfschüttelnd der Lektüre des Schwarzwälder Boten.
09:15 Er ruft mit der Freisprechanlage des Hubschraubers in der Schwabo-Redaktion an, lässt sich sofort mit Chefredakteur Christoph Reisinger verbinden. Der verspricht ihm untertänigst, dass die zehnseitige Reportage über die Wirtschaftsförderungsbemühungen des ehemaligen Trigema-Chefs zeitnah erscheinen werde.
10:33 Grupp wirkt unzufrieden. Er bedeutet seinem Diener Alois, dass der Hubschrauber schnellstmöglich startklar zu machen sei.
11:00 Wir heben ab und landen kurze Zeit später in Oberndorf am Neckar, Redaktionssitz des Schwarzwälder Boten.
11:37 Nachdem Reisinger Grupp endlich empfangen hat, haben wir Zeit für eine Mittagspause.
12:30 Wolfgang Grupp weckt uns unsanft (teils mit Ohrfeigen) im Foyer des Gebäudes. Schnurstracks geht es zurück zum Hubschrauber.
13:31 Wir landen auf dem Gelände der Grupp'schen Schimpansenzucht in Trochtelfingen. Grupp scheint kaum Tagesfreizeit zu haben und immer noch mehr als genug Energie. Man merkt ihm sein Alter, 88, nicht an: Er könnte auch ein frühdementer 20jähriger Hautkrebskandidat im Körper eines 95jährigen Nordic Walkers mit grassierender Wirbelsäulenkrümmung sein.
13:56 Die Affen wirken in den beengten Stallungen sehr traurig. Wolfgang Grupp scheint das nicht zu bemerken. Er meldet einen Falschparker beim Ordnungsamt.
14:12 Der ehemalige Entrepreneur sagt die eigentlich fest vereinbarte Partie Boule "aus Termingründen" ab. Die anderen Wirtschaftskapitäne der Region (Metzgermeister Marco "Messer" Meßmer, McDonald's-Franchisenehmer Bernd Knoten, Callcenterleiter Kai-Uwe Haupt-Schmiedel) seien sicher enttäuscht: "Die himmeln mich verständlicherweise an!"
15:23 Grupp legt sich auf die Rückbank des Helikopters und liest in aller Ruhe die Kolumne von Nikolaus Blome zur Causa Bürgergeld im Spiegel. Fazit: "Mr ko scho an Haufa Geld s'Klo nascheißa!"
16:00 Nachdem wir bewusst mit einigem Abstand vom Firmengelände gelandet sind, schleichen wir uns ins Hauptgebäude. Wolfgang Grupp hat dem Schimpansen, der ihn bereits den gesamten Tag begleitet, das Maul mit Panzertape zugeklebt. Als die Grupp-Kinder unaufmerksam am Wasserspender stehen, huschen wir zusammen mit ihrem Vater ins CEO-Büro. Unter den massiven Eichenholzschreibtischen finden wir alle Platz.
16:37 Das Schimpansenmännchen reist sich los, da sein Herrchen eingeschlafen ist. Bonita und ihr Bruder Wolfgang Jr. wirken wenig überrascht, als sie ihren alten Herren und den gesamten Medientross unter den Bildschirmarbeitsplätzen finden. Der Senior schreit direkt drauflos, nennt die Nachfolger*innen undankbar und verlangt eine Übersicht der anstehenden Geschäftsentscheidungen. Die Kinder verweigern dies trotzig und machen kurzentschlossen Feierabend. Mutter Elisabeth holt die beiden ab, hilft ihnen über die wenig befahrene Straße und bringt sie so sicher in die fußläufig erreichbare Familienresidenz.
16:38 – 21:57 Wolfgang Grupp hat sich mit Handschellen an einen der Schreibtische gekettet und verlangt Einsicht in die Geschäftsunterlagen. Die neuen Designs seien im Übrigen "Gestank fürs Auge". Niemand hört das. Kurz vor 22:00 Uhr macht ihn die Putzkraft los, gibt dem Schimpansen eine Banane und berichtet hinter vorgehaltener Pfote, dass es nun seit fast einem Jahr jeden Abend so läuft. "Also zumindest werktags", sekundiert sie.
22:05 Wir fliegen von der Firma zum Wohnhaus. Nach nahezu einer Minute Flugzeit und einer angsteinflößenden Seitenwindlandung betreten wir die Villa. Elisabeth Grupp hat ihrem geliebten Mann bereits das Kissen aufs Fensterbrett gelegt. Jetzt könne er doch entspannen und "Sterne gucken". Wolfgang Grupp schlurft zum Fenster. Er ruft die Polizei, weil der Nachbarshund "so deutlich nach 22:00 Uhr noch bellt".
23:01 Morgen werde er mal dem Chef des Schwarzwälder Boten einen Besuch abstatten. Der weigere sich nämlich, über Grupps Start-up-Initiative zu berichten, "typisch für den Mainstream." Außerdem wolle er seinem Abgeordneten schreiben. So ginge es jedenfalls nicht weiter, redet er sich in Rage. Wir trauen uns nicht nachzuhaken.
23:22 Als wir uns verabschieden wollen, freut sich Herr Grupp sichtlich über die Aufmerksamkeit und erzählt mit rührseligem Blick und Tränen in den Augen ausführlich von seinen heutigen Erlebnissen. Ganz so, als wären wir nicht dabei gewesen.
24:00 Grupp weist seinen Piloten Jerome an, uns zum Bahnhof zu fliegen. Dort werden wir also die Nacht verbringen müssen.
Martin Weidauer
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