Buchmessen-Spezial (IV): Als ich träumte
Ein Gastbeitrag von Bestsellerautor Clemens Meyer über seine Nichtberücksichtigung beim Deutschen Buchpreis 2024
Ich fluchte fürwahr, als ich dem Frankfurter Römer entschwebte (obschon ich laut Zeit "herausstürmte"). Es ist nun einmal besagter Verrat an der Literatur, dass meine "Projektoren" nicht mit dem verdammten und im Übrigen mit dem Preis der Leipziger Buchmesse (den ich selbstredend dereinst gewann) nicht ansatzweise vergleichbaren Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurden. Ich schäme mich nicht. Ich bin nicht der Großmannssucht anheimgefallen. Ich bin nicht sauer. Ich bin nur enttäuscht. Ich dachte, wir wären weiter. Sind es die Tattoos? Überhaupt: Gastland Italien? Pizza, Pasta, Postfaschismus! Warum nicht mal Gastland Ex-DDR? Integriert doch erst mal uns! Wo ist Denis Scheck, wenn ich ihn mal brauche? Vermutlich auf dem Gestüt der Kollegin Juli Zeh. Morgen werden mir die Redaktionen von FAZ bis Taz entgegentippen: "Misogyner Meyer, sei doch solidarisch mit der Frau aus Leipzig, die den Preis gewonnen hat!" Tja, schlecht recherchiert, die Hefter ist geborene Schwäbin. Und die sind in Leipzig schon lange ein Ärgernis. Mieten! Muss ich noch mehr sagen? Ja. Zerstörung der Subkultur, Gentrifizierung, Bienensterben durch Bodenversieglung. Ich will nicht alles auf Frau Hefter projizieren, ich bin kein Projektor. Das war eine Anspielung auf mein Buch. 1056 Seiten Brutalität, sieben Jahre Buchstaben unter Höllenqualen in die Tastatur geprügelt. Die große Rehabilitierung des Karl-May-Gesamtwerks und nicht zuletzt die erste ernstzunehmende und transepochale Aufarbeitung der Balkankriege aus postsozialistischer Sicht. Urteil der "Jury"? Zweitklassig. Das ist ehrabschneidend. Im Interview mit dem Spiegel hatte ich versprochen, das Schreiben aufzugeben, wenn dieses Werk, mein Opus magnum, nicht erfolgreich wird. Begebe ich mich ebendeshalb in eine Eremitage und halte mein Maul? Nein. Jemand wie ich, der bereits als Bauarbeiter und Punk gearbeitet hat, weiß um den Luxus, Zeit zu haben für Fragen à la "Hey guten Morgen, wie geht es dir?". Das kann man sich leisten, wenn man von den Eltern aus Schwaben eine Leipziger Eigentumswohnung zur Kommunion geschenkt bekommen hat. Ich war Bauarbeiter! Ich war Punk! Vom Bordstein zur Skyline (per Aufzug, ich schreibe diese Zeilen auf der Dachterrasse des Main Towers). Ich könnte mir Frankfurt nie leisten. Finanziell schon. Aber nicht moralisch. Mein Buch "Die stillen Trabanten" hätte im Westen nachgerade keine Sau mit besonders lärmarmer Automobilproduktion in Verbindung gebracht. Albern? Nun ja, "Im Stein" (Empfehlung!) liegt die Wahrheit, und zwar im Elbsandsteingebirge. Partisanen, Indianer, Inspiration. Mit der S-Bahn von Leipzig anderthalb Stunden, von Frankfurt hingegen eine Weltreise. Ich huldige heute dennoch in Sachsenhausen dem Bacchus, wenn ich schon mal in dieser gesichtslosen Geldstadt bin. Quatsch, ich trink' nur Sterni. "Die Nacht, die Lichter. Stories" (ISBN: 9783100486011, Hardcover) – es muss einfach weitergehen. Zu viele Posten als Stadtschreiber sind vakant. Liebe Welt, linkische Buchpreisjury: Ihr werdet trotz allem von mir lesen!
MWei
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