Müters Söhne #18
Geschenke
"De rien, mon amour"
Gideon ist 17 Jahre alt. Seine Mutter Viola Müter schreibt hier im wöchentlichen Wechsel über ihn und ihre anderen zwei Söhne im Alter von 5 und 12 Jahren. Die Mutter nennt sie liebevoll ihre "Mütersöhnchen".
Ich habe eine Vollmacht über Gideons Bankkonto. Natürlich weiß ich, dass ich nur in Notfällen sein Konto sperren lassen sollte. Ich habe im Paris-Urlaub lange stillschweigend zugesehen, wie Gideon unverhältnismäßig viel Geld für seine Freundin Clémentine ausgibt. Ich habe mich zurückgehalten, als er ihr eine überteuerte Zitronentarte spendierte. Ich habe die Klappe gehalten, als er ihr ein Henna-Tattoo bezahlte. Das Motiv: Die Métro-Linie, in der sie sich kennenlernten. Gideon tat all das, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Da wurde ich misstrauisch. "De rien, mon amour", las ich immer wieder von seinen Lippen ab, als ich die beiden heimlich bei ihren Rendezvous beobachtete, versteckt hinter dichten Pflanzenkübeln. Welche Mutter würde in dieser Situation nicht das Konto ihres Sohnes sperren lassen?
Mir ist klar, dass heutige Beziehungen nicht mehr das sind, was sie mal waren. Vielleicht ist es heute normal, sich liebend gerne für den Partner in den finanziellen Ruin zu treiben. Zuzutrauen wäre es dieser Generation. Als ich meinem Mann zum ersten Mal etwas schenkte, lagen bereits zwölf Jahre Beziehung hinter uns. Ich überließ ihm eine meiner ausrangierten Kameras. Er benutzt sie noch heute. Das habe ich in einer WhatsApp-Story von Birgit gesehen, mit der mein Mann gerade auf unbestimmte Zeit in den Urlaub nach Neuseeland geflogen ist. Ich selbst habe den Wert von Geschenken erst zu schätzen gelernt, als mein Mann anfing, mir zu jeder Gelegenheit selbstgehäkelte Taschen aus Pferdehaaren zu schenken. Bei etsy verdiene ich damit gutes Geld.
Trotzdem spürte ich, dass etwas anderes dahintersteckte. Ich sperrte Gideons Bankkonto, nachdem ich im Internet einen Artikel über Love Bombing gelesen hatte. Love Bomber überschütten ihre Freundinnen mit Geschenken. Aber nur, bis sie sich ihrer Zuneigung sicher sind. Dann heißt es statt "Ich lade dich in ein schickes Restaurant ein" schnell "Du dumme Sau!. Zum ersten Mal empfand ich so etwas wie Empathie für Clémentine. Sie war naiv, natürlich war sie das. Besonders Narzissten lovebomben gerne. Bisher kannte ich Narzissten nur aus dem Fernsehen. Donald Trump ist einer, bei Reinhold Beckmann habe ich so ein Gefühl. Nun also auch mein ältester Sohn.
Gideon ignoriert mich, seitdem er aus Südfrankreich zurückgekehrt ist. War es trotzdem die richtige Entscheidung, sein Bankkonto sperren zu lassen? Ja. Seinen Online-Kontoauszügen konnte ich entnehmen, dass er weiterhin das üppige Erbe von seiner verstorbenen Großmutter verprasste. Dass er mich ein paar Tage in Ruhe lässt, fühlt sich außerdem an wie Geschenk. Hätte ich ihm aber Bescheid sagen sollen, damit er nicht plötzlich an der Côte d’Azur ohne Geld dasteht? Nein. Es ging nie um ihn, es ging immer um Clémentine. Ich habe gelesen, dass Frauen zusammenhalten müssen. Vielleicht gibt Clémentine mir ja etwas zurück. Ein Geschenk als Dankeschön, dass ich sie gerettet habe. Fußball-Sammelkarten zur EM 2024 lassen sich bei ebay-Kleinanzeigen gerade sehr teuer verkaufen.
Die Kolumne von Viola Müter erscheint jeden Donnerstag nur bei TITANIC.
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