Müters Söhne #28
Schimpfwörter
"Was ist ein Bastard?"
Thorben ist 5 Jahre alt. Seine Mutter Viola Müter schreibt hier im wöchentlichen Wechsel über ihn und ihre anderen zwei Söhne im Alter von 12 und 17 Jahren. Die Mutter nennt sie liebevoll ihre "Mütersöhnchen".
In der Kita lernen Kinder viele neue Sachen: Freundschaften schließen, sich in Gruppen einfügen oder dass manchmal Gewalt nötig ist, um den ganzen Tag an der Matschbahn spielen zu können. In der Kita lernen Kinder auch häufig ihre ersten Schimpfwörter. Von Kindern, die ältere Geschwister haben, oder von Kindern, die privat viel mit Käufern auf Ebay-Kleinanzeigen kommunizieren. In der Marienkäfergruppe lernen die Kinder ihre Schimpfwörter laut einer der Erzieherinnen von meinem jüngsten Sohn: "Thorbens Sprache ist sehr vulgär für einen Fünfjährigen." Auch die anderen Eltern hätten sich schon beschwert, dass mein Sohn ihre Kinder in die Kuschelecke verschleppen würde, um ihnen dort im Flüsterton "teilweise sehr problematische Wörter" beizubringen.
"Problematisch" ist Ansichtssache. Ich sehe das anders. Ich finde, Thorben kennt beeindruckend viele Schimpfwörter. Er hat sie alle von mir. Das bedeutet nicht, dass ich mich jeden Tag mit ihm hinsetze und obszöne Wörter wie Vokabeln lerne. Ich verstelle mich einfach nicht vor meinen Kindern. Ich bin, wie ich bin, nicht wie andere Eltern. Nur einmal habe ich mich bewusst mit ihm hingesetzt, nämlich als ich ihm im Alter von zwei Jahren das Wort "Wichser" beigebracht habe – so nennt er auf meinen Vorschlag hin bis heute seinen großen Bruder Gideon. Aber das bedeutet nicht, dass ich ihm auftrage, Kinder in der Kuschelecke als Geisel zu nehmen, oder, wie kürzlich geschehen, aufs Klettergerüst zu steigen und von oben "Ihr Arschlöcher!" zu rufen. Thorben hat immer die Möglichkeit, meine Vorschläge abzulehnen.
Es ist nicht mein Problem, dass die pädagogischen Fachkräfte in der Marienkäfergruppe so sensibel sind und Thorbens Liebe für die Vielfalt der deutschen Sprache nicht verstehen. Trotzdem muss ich zugeben: Ich habe Thorben in letzter Zeit neben Mettbrötchen bewusst neue Schimpfwörter mit in die Marienkäfergruppe gegeben. Aus Trotz? Vielleicht. Es hatte aber noch einen weiteren Zwischenfall gegeben. "Was ist ein Bastard?" fragte Thorben mich neulich. "Du", antwortete ich ganz naiv, "du bist ein Bastard, Thorben." Ich dachte, Thorben ginge es um die Faktenlage. Darum, dass er durch eine außereheliche Affäre mit dem Mentalisten Stefan entstanden war. Doch Thorben ließ den Kopf hängen. "Dann hat Paul also recht."
Paul hatte meinen Sohn bloßgestellt. Ich schämte mich. Zum ersten Mal in über 17 Jahren hatte ich als Mutter versagt. Ich versuchte, es wiedergutzumachen: "Wenn du Paul siehst, sagst du einfach 'Du Hurensohn'". Ich habe nichts gegen Pauls Mutter. Im Gegenteil, sie hält mir immer ein Fahrrad beim Spinning frei. Es geht mir nur um Thorben. Er hatte es nicht immer leicht in der Kita. Seine Helmut-Kohl-Parodien erfahren nicht die Wertschätzung, die sie verdient haben. Als jemand, der mit Beleidigungen dealte, könnte er zum Star der Marienkäfergruppe werden. Weil Kinder Schimpfwörter lustig finden. Und anders als ihre Eltern und die Erzieherinnen verstehen, dass Thorbens Sprache Kunst ist.
Die Kolumne von Viola Müter erscheint jeden Donnerstag nur bei TITANIC.
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