Müters Söhne #30
Rauchen
"Röchelröchelhusthust"
Gideon ist 17 Jahre alt. Seine Mutter Viola Müter schreibt hier im wöchentlichen Wechsel über ihn und ihre anderen zwei Söhne im Alter von 5 und 13 Jahren. Die Mutter nennt sie liebevoll ihre "Mütersöhnchen".
Gideon ist schon seit geraumer Zeit am Husten. Ich habe lange geglaubt, sein Röcheln hinge dieses Jahr wieder damit zusammen, dass die Medien die Erkältungssaison ausgerufen haben. Dies hat er nämlich schon im jungen Alter zum Anlass genommen, allerlei virale Infekte zu simulieren. "Ich muss meine Stimme schonen!" hatte er dann immer als Ausrede parat, um nicht mit mir reden zu müssen. Ich habe generell nichts dagegen, wenn er simuliert, krank zu sein. Ich respektiere es sogar. Wenn ich meinen Eltern als Kind nicht teils schwere Krankheiten vorgegaukelt hätte, könnte ich jetzt wahrscheinlich sehr gut Klavier spielen Ich bin dankbar dafür, denn niemand mag diese Angeber, die auf Dinnerpartys "Paparazzi" von Lady Gaga spielen.
Ich höre Gideon vor allem husten, wenn er sich allein in seinem Zimmer befindet. "Röchelröchelhusthust", schallt es dann sogar durch Bachs Klaviersonaten, die er nach der Schule immer hört, gefolgt von einem "Bitte nicht eintreten!", wenn er mich in der Nähe vermutet. Natürlich werde ich da misstrauisch. Ich konnte nicht mehr einschätzen, ob er dieses Mal einfach sehr gut simulierte oder tatsächlich krank war. Jeder weiß doch um die Zustände auf Schultoiletten – vielleicht hatte er sich dort Tuberkulose eingefangen. Aber ich konnte mir eben nicht sicher sein, denn ich erinnerte mich an keinen ähnlichen Fall bei Grey’s Anatomy. Deshalb stürzte ich ohne anzuklopfen in sein Zimmer.
Das war der Moment, in dem ich Gideon beim Rauchen erwischte. Beim Rauchen einer ganz gewöhnlichen Zigarette. Marlboro Gold, 24 Stück, Raucherbein auf der Verpackung. Ich hätte wenigstens eine Zigarre von Cohiba erwartet. "Ich bin nicht so klischeehaft wie du mich immer darstellst!", protestierte Gideon, unterbrach sich aber selbst mit einem schweren Hustenanfall. Ich muss sagen, ich hätte es ihm nicht zugetraut. Nicht dass er rauchte, obwohl es mich wunderte, dass es ihm nichts auszumachen schien, dass der Zigarettengeruch sein Dior Parfum verfälschte. Sondern dass er es scheinbar nicht schaffte, die Zigarette entspannt auf Lunge zu rauchen. Wegen sowas hat in der Schule meine Freundesgruppe zurecht den Kontakt zu mir abgebrochen.
Andere Eltern hätten jetzt vermutlich Angst, dass ihr Kind auf die schiefe Bahn gerät. Dass aufs Rauchen unvermeidlich Koks und Heroin folgen, oder noch schlimmer: Vapes. Die Angst muss ich bei Gideon nicht haben. Seitdem er Literaturkritiker werden möchte, befindet er sich bereits auf der schiefen Bahn. Mich stimmte etwas anderes nachdenklich: Was, wenn Gideon nie wirklich seinen Husten simuliert hatte, sondern immer schon versucht hat, auf Lunge zu rauchen, es aber nie schaffte? Wie war es zum Beispiel vor vielen Jahren im SeaLife, als ich Gideon die Wahrheit hinter Fischstäbchen erklärt hatte, und er sich angeblich so sehr an einem Kibbeling verschluckte, dass ich ein Heimlich-Manöver anwenden musste? Hatte er eigentlich vorher heimlich während der Rochenfütterung geraucht? Ich spürte, wie ich langsam, aber sicher den Respekt verlor.
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