Artikel

Pro und Kontra Impftourismus

Ins Ausland fliegen (z.B. mit ModAirna), um sich dort impfen zu lassen? Viele Deutsche könnten sich das vorstellen, wenn es hier zu lange dauert. Auch die TITANIC-Redaktion diskutiert

Pro

Torsten Gaitzsch, 39, hat durch die Pandemie die Hoffnung nicht verloren – sondern schon viel früher. Für ihn sind Menschen, die erste Klasse reisen, keine Menschen zweiter Klasse. Hä?

Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal Diether Dehm in Schutz nehmen würde. Ich weiß ja nichts über den Mann! Aber ihn angreifen, weil er nach Russland gereist ist, um sich dort gegen Covid-19 impfen zu lassen? No way, José, in dieses vulgärideologische Bällebad springe ich nicht! Wäre Dr. Dehm hierzulande denn priorisiert gewesen? Nun gut, er ist über 70 und Mitglied des Bundestages. Aber hat er sich den Flug etwa aus der Staatskasse finanzieren lassen? Wie? Hat er? Gute Güte, Diether.

Also noch mal von vorn. Neid und Missgunst helfen niemandem weiter. "Impftourismus", wie das schon klingt! Dabei ist das Reisen zu anderen medizinischen Zwecken längst etabliert. Für Zahnersatz fährt man nach Polen, zur Massage nach Thailand, für Voodoowünsche aller Art nach Haiti und zum friedlichen Einschlafen in die Schweiz. Und da habe ich noch nicht einmal erwähnt, was "wir" noch so alles "mitnehmen", wenn wir in den "Urlaub" fahren. Mache ich aber jetzt: Nach Luxemburg etwa fährt man traditionell zum Tanken, viele Deutsche cruisen vorher noch hundert Mal um Trier herum, bis der Tank restlos leer ist und sich der Besuch beim Nachbarn auch wirklich lohnt. In Dänemark holt man sich auf sogenannten Butterfahrten Butter, in der Tschechei Kippen, Crystal Meth oder gezuckerte Kondensmilch und in Südostasien die in hiesigen Obstläden sträflich abwesende Stinkfrucht (Durian durian). Und wer heuer nicht nach Amerika jettet, um sich ein paar der nach 17 Jahren Winterschlaf ein Comeback feiernden Zikaden als Haustiere bzw. proteinreiche Snacks zu sichern, werfe den ersten Stein!

Der Zwergstaat San Marino machte kürzlich von sich reden, als er Ausländern anbot, sich mit Sputnik V boosten zu lassen. Das ist für mich gelebtes Europa. Aber warum in die Nähe schweifen, wenn das Gute liegt so fern? Gehen wir noch einen Schritt weiter und machen wir den Globus zu einem interkulturellen Impfzentrum! Open borders, rolled-up sleeves! Jetzt, da Kurzstreckenflüge in der Kritik stehen und bald unerschwinglich werden, lasset uns die Langstrecken zum Glühen bringen! Warum nicht von Italien nach El Salvador fliegen, sich dort den ersten Schuss mit Pfizer setzen lassen und den zweiten mit einem lokalen Microvaccine in Tadschikistan? Warum nicht Impf- und Reisepass zusammenlegen? Freizügigkeit, aber zügig! Keine Regierung der Welt sollte dieser Idee Hürden in den Weg legen, schließlich wollen wir Herdenimmunität erreichen und nicht Hürdenimmunität. Hä?

Kontra

@lilacatnerd, Aktivistin und Speakerin, Grüne Jugend, she/her, macht ein Praktikum bei TITANIC und erklärt, warum Impftourismus problematisch ist (1821 Zeichen)

Seit einem Jahr schränken wir jungen Leute uns ein. Warum es reicht. Ein Thread. Ach so! Sorry, es geht ja einfach normal weiter hier, bei einem sogenannten "Text". Also: 1. Wir haben unser Abi zu Hause geschrieben. 2. Wir haben unsere Freund*innen kaum gesehen. Swipe up um den Rest zu lesen. Ach so, sorry ... Ich las jedenfalls in meinem Feed, dass es mittlerweile "Impftourismus" geben soll. Zum Beispiel kann man für 1000 Euro nach Russland, ihr kennt das Land vielleicht vom ESC, und sich dort impfen lassen. Dazu sah ich dann einige TikToks, die wirklich ultra lustig sind, ich pack euch mal alles in meine Story (gleicher Name wie hier). Meiner Meinung nach ist das mit dem Impftourismus: komplett toxic behaviour.

Und wie komme ich zu diesem Take? Ins Ausland zu fahren oder sogar zu fliegen (!!), sich die Impfung dort zu besorgen, hier die Regularien zu umgehen PLUS dann noch den Menschen in den jeweiligen Ländern den Impfstoff wegzuschnappen, nur um dann schön Urlaub zu machen, nenne ich: privilegiert as fuck! Vielleicht wisst ihr es noch nicht, aber es gibt auf der Welt sogenannte Armut. Das bedeutet: manche Menschen haben nicht so viel Geld wie andere und damit nicht die gleichen Möglichkeiten, speaking of Essen, Klamotten, Autos & Co. Viele Reiche wissen das alles nicht. Falls ihr einen Reichen kennt, klärt ihn auf! Sprecht mit ihm über all das, was er nicht weiß. Seid mutig, macht den Mund auf. Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr wem die Impfung klaut!

Btw habe ich auch etwas gehört über "Green Vaccinating Tourism". Ein grüner Arbeitskreis, der daran arbeitet, dass man klimaschonend nach Russland reisen kann und auf dem Weg noch paar Sachen recycelt? Klingt spannend. Ich verlink euch alles Wissenswerte noch mal hier in den Shownotes. Gibt's hier auch nicht? Ach, verreckt doch, ihr Boomer!

Torsten Gaitzsch / Paula Irmschler

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Tagesschau.de!

»Sei nicht immer so negativ!« wollten wir Dir schon mit auf den Weg geben, als Du vermeldetest: »Juli stellt knapp keinen Temperaturrekord auf«. Auf Schlagzeilen wie »Zehnkämpfer Leo Neugebauer erringt in Paris knapp keine Goldmedaille«, »Rechtsextremer Mob erstürmt im nordenglischen Rotherham knapp kein potentiell als Asylunterkunft genutztes Hotel« oder »19jähriger Islamist richtet bei Taylor-Swift-Konzerten in Wien knapp kein Massaker an« hast Du dann aber doch verzichtet.

Es gibt sie also noch, die positiven Nachrichten.

Vor allem von Titanic

 Liebes Werbeplakat in Freiburg!

»Nicht zu wählen, weil man nicht weiß, was, ist, wie keinen Film zu schauen, weil man sich nicht entscheiden kann«, trötest Du am Bahnhof allen noch so unwilligen Nichtwähler/innen entgegen. Jetzt stellt sich natürlich die alles entscheidende Frage: Ist ein versauter Filmabend, bei dem man am Ende aus Langeweile vielleicht sogar Monopoly spielen muss, genauso schlimm wie die Machtübernahme einer neofaschistischen Diktatur?

Fragt Popcorn mampfend Titanic

 Moin, »Spiegel«!

Bei dem Artikel »Wir gegen uns« wussten wir nach dem Artikelvorspann »Die linksextreme Szene in Deutschland hat einen neuen Gegner: sich selbst« schon, dass da nichts Kluges drinstehen kann. Die Linke sich selbst ein »neuer Gegner«? Da drehen sich aber so einige vor Lachen im Grabe um.

Nicht ganz so geschichtsvergessen: Titanic

 Etwas unklar, mallorquinische Demonstrant/innen,

war uns, warum wir Euch bei den Demos gegen den Massentourismus immer wieder palästinensische Flaggen schwenken sehen. Wir haben lange darüber nachgedacht, welchen logischen Zusammenhang es zwischen dem Nahostkonflikt und Eurem Anliegen geben könnte, bis es uns einfiel: Na klar, Ihr macht Euch sicherlich stark für eine Zwei-Staaten-Lösung, bei der der S’Arenal-Streifen und das West-Malleland abgeteilt werden und der Rest der Insel Euch gehört.

Drücken die diplomatischen Daumen: Eure Friedenstauben von Titanic

 Kopf einschalten, »Soziologie-Superstar« Hartmut Rosa (»SZ«)!

Wahrscheinlich aus dem Homeoffice von der Strandbar tippen Sie der SZ dieses Zitat vor die Paywall: »Früher waren zum Beispiel die beruflichen Erwartungen, wenn man zu Hause war, auf Standby. Heute kann man andersherum auch im Büro natürlich viel leichter nebenbei private Kommunikation erledigen. Man kann nichts mehr auf Standby schalten, selbst im Urlaub.«

Ihr Oberstübchen war beim Verfassen dieser Zeilen ganz offenbar nicht auf Standby, denn dieser Begriff bezeichnet laut dem Cambridge Dictionary »something that is always ready for use«. Also sind wir gerade im Urlaub und im Feierabend heutzutage für den Job immer im Standby-Modus – also auf Abruf –, anders als bei der Arbeit, wo wir »on« sind, und anders als früher, wo wir dann »off« waren und daher alles gut und kein Problem war.

Dagegen dauerhaft abgeschaltet sind Ihre Hardwarespezis von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zero Punkte für den Underdog

Nach meinem Urlaub in Holstein möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die oft zu Unrecht belächelte Ostsee brechen. Jene, so heißt es, sei eigentlich gar kein richtiges Meer und habe ihre unwürdige Existenz bloß einer brackigen XXL-Schmelzwasserpfütze zu verdanken. Wellen und Brandung seien lächerlich, die Strände mickrig und das Leben unter Wasser mit der Artenvielfalt in einem Löschtümpel vergleichbar. Außerdem habe ein Gewässer, in das man vierhundert Meter hineinschwimmen und danach selbst als Siebenjähriger noch bequem stehen könne, das Prädikat »maritim« schlicht nicht verdient. Vorurteile, die ich nur zu gerne mit fantastischen Bildern und spektakulären Videos widerlegen würde. Doch daraus wird dieses Mal nichts. Leider habe ich meine kompletten Küsten-Campingferien aus Versehen im »Freibad am Kleinen Dieksee« verbracht und den Unterschied erst zu spät bemerkt!

Patric Hemgesberg

 Hä?

Demenz kennt kein Alter.

Moppel Wehnemann

 Unwirtliche Orte …

… sind die ohne Kneipe.

Günter Flott

 Ach, übrigens,

der Typ, mit dem ich in jedem Gespräch alle drei Minuten für mindestens fünf Minuten zu einem Nebenthema abschweife: Ich glaube, wir sind jetzt exkursiv miteinander.

Loreen Bauer

 Abwesenheit

Vielen Dank für Ihre E-Mail. Ich bin vom 02.–05.09. abweisend. Ab 06.09. bin ich dann wieder freundlich.

Norbert Behr

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer