Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Aus der Sackgasse
Ich verfolge den Weg in die Bildungsgesellschaft ja sehr aufmerksam, und da hat es mich doppelt gefreut, daß der polnische Fußballer Robert Lewandowski (FC Bayern) jetzt einen Abschluß von der Warschauer Sporthochschule hat, und zwar dreimal mit Bestnote. „Niemand bekommt bei uns seinen Bachelor einfach so“, soll sein Professor laut Morgenblatt gesagt haben. „Unsere Studenten arbeiten hart daran.“ So wie der Spitzenstürmer und Nationalspieler Lewandowski, der in seiner Arbeit „die Geschichte seiner Karriere vom kleinen Jungen in den Straßen zum großen Star des internationalen Fußballs“ erzählt, weshalb die Arbeit auch „RL9 – Der Weg zum Ruhm“ heißt. RL sind seine Initialen, 9 ist seine Trikotnummer. „Zur Erinnerung: Bachelor- und Masterstudiengänge waren einst im Rahmen der Bologna-Reform eingeführt worden, um Universitätstitel international vergleichbar zu machen. Doch Kritiker wie Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, nennen diese Reform einen ,Unfall mit Fahrerflucht’“ (SZ).
Einen Tag zuvor hatte im nämlichen Hausblatt liberaler Bildungsbürger und -bürgerinnen ein Maximilian Sippenauer Didier Eribons „Macron? Not My President“ übersetzt, worin Eribon den französischen Präsidenten des autoritären Neoliberalismus zeiht: „Es ist eine auf den Kopf gestellte Umverteilung: nimm’ von den Armen und gib’ es den Reichen.“ Wiederum ein Unfall, wenn auch nicht mit Fahrerflucht; aber wo sollen’s die Leut’ denn auch her haben, bitte sehr: „Die Zahl offener Stellen im Nachwuchsbereich in den Universitäten oder Forschungseinrichtungen sinkt stetig. Die Universitäten werden von Studenten überschwemmt, haben aber keine Mittel“, Komma, „sich dieser katastrophalen Situation zu stellen. Zugleich begünstigt ein solches Vorgehen die Grands École“, gemeint sicher: Grandes Écoles, „(wo die Kinder der Bourgeoisie studieren, außerhalb des allgemeinen Universitätswesens für alle). Ein weiterer Schritt in der Privilegierung der Privilegierten. Wieder fließt das Geld jenen zu, die es schon haben: via Kulturkapital kehrt Kapital zum Kapital zurück.“
„Das Ding heißt Klassenkampf.“ Gremliza, 1975
Vermutlich nennt man die Angelegenheit deshalb Kapitalismus, und diese schöne Wahl hatte Frankreich ja: zwischen einem neuen „nationalen Kapitalismus“ (Georg Seeßlen), in dem dann eben anders definiert wird, wer warum nicht dazugehört, und einem gewohnt internationalen, der dann die „schamlos arschlöcherige Gegenwart“ schafft, die Magnus Klaue rechts des Rheins vor Jahren schon verwirklicht sah.
Da muß es hin; und damit man die Sache benennen kann, ohne die Sache beim Namen zu nennen, erlaubte sich Feuilletonredakteur A. Zielcke am 12.10. einen lesbar von älterem universitärem Geist bedampften Besinnungsaufsatz über „Demokratie und Kapitalismus als Strategien der Identitätsbildung“, denn wer in der aktionsgeladenen Marktgesellschaft mit seiner „fluiden“ Identitätsbildung zum „flexiblen Menschen“ (das Wort stammt von Richard Sennett) nicht hinterherkommt, der sucht sich eben eine objektive, „verplombte“ Identität aus Volk und Reich und Firlefanz, die „passives Festklammern“ belohne.
Schön. Und „was tun“ (Lenin)? „Auch die Differenz aktiv/passiv bringt … eine ungute politische Asymmetrie ins Spiel. Aber sie macht vollends klar, daß negationsbesessene Identität nicht mit bloßer Rhetorik zu überwinden ist. Gefragt ist aktive Hilfe zur aktivierenden Selbsthilfe.“ Ende. Und während die Privilegierten, welche keinen Gedanken daran verschwenden, ihre systemische Privilegierung einmal in Frage zu stellen, bei der Betrachtung der allzuvielen „Widersprüche“ (Zielcke) heutiger Gesellschaft statt bei Marx, Adorno oder Dath immer bloß beim Kirchentag landen, können die Sachwalter des Privilegs sich in der Rolle jener gefallen, die dem Faschismus die Stirne bieten.
Vielleicht ist es da doch aufschlußreicher, die „Wege zum Ruhm“ zu lesen. Übersetzer, Übersetzerinnen, helft’ ihr mir?