Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ausgleichend Gerechtigkeit
Die Welt ist eine aus Dialektik, und wenn in meinem Stadtviertel die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands „Hoch die internationale Solidarität!“ plakatiert, und vor meinem Haus hat mal wieder wer seine Töle auf den Gehsteig scheißen lassen, dann steht die Synthese in dieser Kolumne. (Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, nebenbei, kann ich leider nicht wählen, denn neben durchgehend Richtigem will sie „Freiheit für Palästina“, und ich muß im Leben nicht mehr viel werden, und linker Antisemit schon gar nicht.)
Gegen die populäre Vermutung hat nicht bloß die Wurst zwei Enden, wie mir wiederum bei der Lektüre meines liberalen Morgenblatts auffiel, das ich, um mal in seinem „Roboterstil“ (Benn) zu sprechen, vermutlich darum so spannend finde. Bei der Frankfurter Allgemeinen Konkurrenz ist es ja fad: Da sind im Politik- und Wirtschaftsteil die Bekloppten und die anderen im Feuilleton; liberalitas bavariae hingegen bedeutet, daß sich alles auf engstem Raum die Waage und in Schach hält.
Der Samstagskommentar auf Seite 4, der den Landsleuten eine „wahnhafte Beziehung“ zum Auto ankreidet und sie, als Heuchler, „mitverantwortlich für den Dieselskandal“ macht („Die PS-Zahl verdoppeln und gleichzeitig die Schadstoffe senken? Hat das wirklich jemand geglaubt? Oder wollte man es nicht auch gerne glauben?“), verlangt den „Abschied vom Auto als kraft- und technikstrotzende Identifikationsmaschine“. Auf Seite 2 war es aber noch so, daß der Diesel „totgesagt, aber lebendig“ ist: „Diesel-Autos gelten inzwischen generell als Dreckschleuder. Doch neue Modelle zeigen: Es geht auch anders. Das räumen selbst die schärfsten Kritiker ein.“ Als Saubermänner geraten ein Audi (190 PS) und ein Benz (224 Spitze) ins Rampenlicht.
„Staunend schaun wir auf und nieder, / Hin und Her und immer wieder.“ Goethe, 1828
Auf Seite 6 verdichten sich weiter die Hinweise, daß in Hamburg zuerst die Polizei hingelangt hat, nicht der Schwarze Block (falls es einen gab); es gibt da wohl ein aufschlußreiches Polizeivideo: „6.28:05 Uhr: Eine bengalische Fackel fliegt aus dem Pulk heraus in Richtung der Polizei (…). Der Bengalo landet auf leerer Straße, etwas rosafarbener Rauch steigt auf. 6.28:10 Uhr: Ein zweiter Bengalo fliegt, wiederum auf die weithin leere Straße. 6.28:18 Uhr: Ein dritter Bengalo landet auf der Straße, wieder zu weit entfernt von den Beamten, um als eine versuchte Körperverletzung gelten zu können. Irgendwo knallt ein Böller. Ein Polizeiführer hat jetzt genug, wie man im Video hören kann: ,Bleib stehen’, befiehlt er dem Fahrer eines Polizeibusses, der noch im Schritttempo voranrollt, ,steigt aus, mir reicht das aus’. Auf das Kommando hin stürmen die Polizisten los, die Demonstranten drehen sich um und rennen fort. 6.28:36 Uhr: Wasserwerfer beschießen von hinten die Demonstranten, die also eingekesselt worden sind. Was man in dem Video nicht sieht: ein einziger“, lies: einen einzigen, „Steinwurf. Oder eine einzige Flasche. Unmittelbar angegriffen wurde – zumindest vor dem Sturm der Polizei – kein Beamter. Man würde es sehen.“ Nur gut, daß das freitägliche SZ-Magazin „ein Heft über die Polizei“ war, genaugenommen über gut fotografierte Polizisten (m/w), die es auch nicht immer leicht haben („Jeder Polizist weiß, daß ihm Fehler unterlaufen können“).
So geht es hin, so geht es her / und vorwärts geht es gar nicht mehr. Manchmal freilich (Seite 3) geht es auch nur hin: „Eine letzte Sequenz aus diesem Fußballsommer: Wie der Experte Mehmet Scholl beim Confed-Cup sich offenbar weigert, eine journalistische Selbstverständlichkeit abzuliefern und über die Dopingvorwürfe gegen Gastgeber Rußland zu sprechen“, weshalb die ARD „ihrem mittelgebildeten und maximal bezahlten Querdenkerdarsteller“ beibringen soll, „daß Fußball und Politik sehr viel miteinander zu tun haben“. Wie es – wenn ich hier das Her übernehmen darf – die reine Politik ist, Dopingvorwürfe fernsehöffentlich nur in die eine Richtung zu erheben, und sich einer entscheiden mag, lieber die Klappe zu halten, als wieder mal dem Iwan alles in die Sportschuhe zu schieben.