Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Simple as that
Eigentlich ist alles ganz einfach, pflegte mein seliger Vater einen seiner (seltenen) Vorträge einzuleiten, und also kann der Nahostkorrespondent des liberalen Morgenblatts die dortige Malaise ganz leicht per Leitartikel zusammenfassen: „Da ist Israel als routiniert rücksichtslose Besatzungsmacht; da sind Amerikaner und Europäer als halbherzige Vermittler; und natürlich sind da die Palästinenser selbst, die seit jeher mit ihren Führungsfiguren gestraft sind … Abbas also ist grandios gescheitert. Letztlich aber hat er nur die Chance vertan, die er de facto gar nicht hatte. Denn der Staatsgründung wäre er wohl auch nicht näher gekommen, wenn er rund um Ramallah ein Musterländle erschaffen hätte. Das potenzielle Staatsgebiet wird schließlich seit fünf Jahrzehnten von Israel besetzt gehalten – und die Regierung in Jerusalem zeigt keinerlei Interesse mehr, daran etwas zu ändern. In der täglichen Praxis wird der Siedlungsbau vorangetrieben, und in Israels politischen Diskussionen geht es mittlerweile mehr um mögliche Annexionen im palästinensischen Westjordanland als um eine palästinensische Staatsgründung.“
Das ist natürlich wieder ein glänzender Streich Volksaufklärung, wenn Israel seit 50 Jahren in routinierter Rücksichtslosigkkeit ein potentielles Staatsgebiet besetzt hält und, einfach so, keine Lust mehr hat, daran etwas zu ändern, und das hat sich der Peter Münch dann doch nicht getraut, die Wahrheit noch weiter zu beugen und auf dieses „mehr“ zu verzichten; ohne es freilich zu erklären. Platz bietet so ein Leitartikel halt nicht unbegrenzt, aber man kann ja darauf setzen, daß das Publikum die nahöstliche Geschichte der letzten hundert Jahre gut genug kennt, daß mehr bei ihm hängenbliebe, als daß der Palästinenser ein Halbjahrhundert lang chancenlos gegen die Brutalität israelischer Besatzung gewesen sei; und daß es z.B. weiß, daß diese Besatzung sich gewisser Tendenzen in der arabischen Welt verdankt, welche die Beseitigung Israels vorsahen und immer noch vorsehen.
„Weil einfach einfach einfach ist.“ Mobilfunkwerbung, 2005ff.
Mit derselben Lust an der weltbildgerechten Vereinfachung erkannte Jasper von Altenbockum (FAZ) betr. Trump und rechts „das Paradox, daß es den Deutschen noch nie so gut ging, sich aber gleichzeitig so viele von ihnen so fremd vorkommen“, und die Beobachtung, es gehe den Deutschen so gut wie überhaupt noch nie, hatte vor zwei Wochen auch Prantl in München bereits gemacht (oder mindestens arglos wiedergegeben), und zwar ohne einen Blick auf die aktuelle Armutsstatistik, auf die Explosion der Zahl von Minijobs und working poor; und wo zuletzt ja häufig die Vokabel postfaktisch fällt und die, die jetzt AfD oder Hofer wählen, in ihrer Blase leben und Fakten gar nicht mehr wahrnehmen, darf doch auffallen, daß diese Angewohnheit eine scheint’s ubiquitäre ist. Wie nach dem Tode Fidel Castros der Hinweis unterblieb, daß es einem Schulkind in Havanna materiell sicher schlechter geht als einem im Münchner Hasenbergl, daß dieser Umstand aber weder seine Bildungschancen, noch seine Lebenserwartung berührt, die auch beide besser sind als im Slum von Caracas oder einer Favela von Rio; während in jenem Land, dessen Insassen es so gut geht wie noch niemals zuvor, Arme dümmer bleiben und ein reichliches Jahrzehnt früher sterben.
Aber an solchen Fakten hat ja keins ein Interesse, denn sie betreffen das Klassenregime, das so gottgegeben ist wie die Sonne, die Naturgesetze oder die jüdische Tücke; weshalb ich mir, unter Vereinfachern, den Tip sparen will, daß das Gegenteil von einfach gar nicht unbedingt kompliziert ist. Es ist nur schwer zu machen. -- Aber apropos Tip (zu Weihnachten): Oliver Nachtwey: Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne. Berlin: Suhrkamp, 2016; Tilman Tarach: Der ewige Sündenbock. Israel, Heiliger Krieg und die "Protokolle der Weisen von Zion": Über die Scheinheiligkeit des traditionellen Bildes vom Nahostkonflikt. Freiburg u.a.: Edition Telok, 5. Aufl. 2016