Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: In höherem Maße
Es gibt keine guten Erkältungen. Es gibt allenfalls lästige und nicht so lästige. (Ich weiß wieder mal, wovon ich spreche.)
Papst Franzl ist ein Mann, den man mitunter zitieren kann, ohne daß es in spöttischer Absicht geschieht. Daß diese Wirtschaft töte, war ein Satz von erfreulicher Deutlichkeit, und daß daraus nichts folgte, muß nicht gegen den Satz sprechen. Franzls Karlspreis- und Europa-Ruckrede vom Freitag indes ist die Folgenlosigkeit bereits auf eine Weise eingeschrieben, daß die Lektüre im Wortlaut zu einem halb ermüdenden, halb deprimierenden Unterfangen wird. Es geht darin weniger um erste Welt und dritte Welt und was die eine für die andere kann, sondern geradezu käßmannsch um Integration, Synthese, Brückenbau und Dialog – „Wenn es ein Wort gibt, das wir bis zur Erschöpfung wiederholen müssen, dann lautet es Dialog“ –, und wer den Bischof von Rom je für einen Klartextredner, einen Mann „brutal deutlicher Worte“ (Süddeutsche) hielt, der lese, was geschrieben steht (und danke mir fürs Exzerpieren):
„Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? … Die Pläne der Gründerväter, jener Herolde des Friedens und Propheten der Zukunft, sind nicht überholt: Heute mehr denn je regen sie an, Brücken zu bauen und Mauern einzureißen … Die Wurzeln unserer Völker, die Wurzeln Europas festigten sich im Laufe seiner Geschichte. Dabei lernte es, die verschiedensten Kulturen, ohne sichtliche Verbindung untereinander, in immer neuen Synthesen zu integrieren … Es geht um eine Solidarität, die nie mit Almosen verwechselt werden darf, sondern als Schaffung von Möglichkeiten zu sehen ist, damit alle Bewohner unserer – und vieler anderer – Städte ihr Leben in Würde entfalten können … Das Gesicht Europas unterscheidet sich nämlich nicht dadurch, daß es sich anderen widersetzt, sondern daß es die Züge verschiedener Kulturen eingeprägt trägt und die Schönheit, die aus der Überwindung der Beziehungslosigkeit kommt.“ Usw. Es wird schon so was sein.
„Sich nicht auch auf den Frühkommunisten Jesus Christus berufen zu haben: womöglich eine der dümmsten programmatischen Fehlleistungen der sozialistischen Klassiker. Was für ein Predecessor!“ Piwitt, 2001
Aber immerhin geht es irgendwann auch um die „Suche nach neuen Wirtschaftsmodellen, die in höherem Maße inklusiv und gerecht sind. Sie sollen nicht darauf ausgerichtet sein, nur einigen wenigen zu dienen, sondern vielmehr dem Wohl jedes Menschen und der Gesellschaft. Und das verlangt den Übergang von einer ,verflüssigten’ Wirtschaft zu einer sozialen Wirtschaft. Ich denke zum Beispiel an die soziale Marktwirtschaft“, dieses hochsolidarische Vorbild, das sein soziales Netz, hapert’s an der Rendite, zur Hängematte erklärt und seine Hartz IV-Almosen wirklich nur für jene Millionen vorsieht, die bei allen von BDI und Regierung geschaffenen Möglichkeiten, sich in Würde vernutzen zu lassen, nicht und nicht zu brauchen sind. Und gottlob und im statistischen Mittel elf Jahre früher sterben als die, denen diese Wirtschaft dient und dienen wird, allen römischen Predigten zum Trotz und längst nicht nur in Deutschland: „Der französische Präsident geht ein Schlüsselprojekt seiner Amtszeit an: die Arbeitsmarktreform. Kündigungen sollen erleichtert und die 35-Stunden-Woche aufgeweicht werden“ (Der Bayernkurier unter der Überschrift „Hartz für Hollande“). Da geht es hin, und nur dahin.
„Ich träume von einem Europa, wo die jungen Menschen die reine Luft der Ehrlichkeit atmen“, und davon träume ich auch, und deshalb sei der legendäre Armenpapst zum vielleicht letzten Mal zustimmend zitiert: Diese Wirtschaft tötet. Daß sie aber über Gebühr sozial sein könnte (noch auch nur will), ist, ganz unchristlich, gelogen.