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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Bitte nicht verstören

Es ging in der Morgenzeitung mal wieder um die Mitte: „Meinungen werden wie Munition verschossen, nicht nur in der Flüchtlingsdebatte. Wie lange hält Deutschlands Mitte das aus? Eine Interview-Reise durch die Republik“. Eine kuriose Frage, weil sie unterstellt, die Meinungen, die wie Munition verschossen werden, kämen gar nicht aus der Mitte, sondern vom rechten und linken Stänkerrand; was bedeuten würde, daß z.B. das Spon-Publikum, dessentwegen die Kommentarfunktion unter Artikeln zum Flüchtlingsthema außer Betrieb genommen worden ist, gar nicht aus dieser sagenhaften Mitte käme, sondern ausschließlich aus Nazi- und Pegidakreisen, und das scheint ja doch zweifelhaft; und um so zweifelhafter, als die Interview-Reise u.a. zu Dieter Nuhr führt, der stellvertretend sich beschweren darf, daß seine Ansichten – als Ansichten der Mitte – so schlimm mißbraucht würden: „Früher war das links, wenn man sagte, daß jeder leben soll, wie er möchte. Heute muß man aufpassen, von wem aufgegriffen wird, was man sagt.“

Die Morgenzeitung, Organ der Mitte, hat Verständnis: „Nuhr war schon alles Mögliche dieses Jahr. Islamophob, rechter Hetzer, linker Hetzer. Er hatte mal einen Satz im Programm, den er immer noch unterschreiben würde, der ging so: ,Es gibt keinen toleranten Islam an der Macht.’ Für sich schon nicht falsch, im Kontext aber noch viel besser, denn Nuhr bettet ihn in eine Passage, in der er sich gegen jede Intoleranz ausspricht, auch religiös motivierte, christliche oder islamische, egal. Aber wie war das noch? Es kommt immer drauf an, von wem aufgegriffen wird, was man sagt. Deshalb zahlt er jetzt ein fünfstelliges Anwaltshonorar im Jahr nur dafür, den Satz mit dem Islam von rechten Seiten im Netz löschen zu lassen.“

„Der Deutsche schleppt an seiner Seele: er schleppt an allem, was er erlebt.“ Nietzsche, 1886

Das Geld könnte Nuhr sich sparen, wenn er einfach nichts mehr sagte, was sich so leicht von rechten Seiten aufgreifen ließe, und wer hin und wieder Zeitung liest, weiß, daß, wer sich auf ein Mißverständnis beruft, genau richtig verstanden worden ist. Der Satz, den die SZ für sich schon nicht falsch und im Kontext sogar noch besser findet, ist so ein Satz, der für diese Art Mißverstehen wie gemacht ist. Es geht natürlich um alle Religion, christliche, islamische, egal, aber da der Satz: „Es gibt keinen toleranten Katholizismus an der Macht“ nicht fällt und sich für Polen oder Ungarn halt auch niemand interessiert, bleibt der Islam als Sonderfall und der Satz ein trojanisches Pferd. Denn es gibt in Deutschland so wenig einen Islam an der Macht, daß der Satz nur als Suggestion funktioniert, als Vorlage für die völkische Quatschangst vor der Islamisierung. Und das Publikum klatscht, und die Nazis klatschen auch, und dann muß Nuhr seine Anwälte bemühen, und dann darf er die SZ vollheulen, daß man nimmer sagen dürfe, was man wolle, und die SZ kann drei Seiten mit der üblichen PC-Kritik zuleiern und die arme, gebeutelte Mitte beschwören, deren Rechtschaffenheit von den Unbelehrbaren sturmreif geschossen wird.

Zwei Drittel aller Delikte wider Flüchtlinge und ihre Unterkünfte werden von braven Staatsbürgern begangen, Tag für Tag und heute wieder. Folgerichtig titelt der Spiegel: „Die verstörte Nation. Verliert Deutschland seine Mitte?“ Der Verlust jener Mitte, die sich immer bedauert, wenn sie andere totgeschlagen hat, wäre allerdings zu verkraften.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Mit den Opfern

Die Trauer, die Bestürzung, die Fassungslosigkeit waren groß beim Stern nach den Anschlägen von Paris, diesem laut Stern-Titel „Angriff auf Europa“. „Die Morde an Unschuldigen, deren einziges Verbrechen am vergangenen Freitag war, daß sie ihr Leben genießen wollten, haben uns Westeuropäer ins Mark getroffen“, trauerte Chefredakteur Christian Krug auf Seite 5, um auf Seite 6 an- und abzuschließen: „Wir widmen den Anschlägen von Paris und ihren Folgen in diesem Heft mehr als 50 Seiten. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Hinterbliebenen.“

Auf Seite 7 trauerte die Fa. Bulthaup sogleich ganzseitig mit: „Augen. Hände Leidenschaft. Wo Maschinen ihre Grenzen erreichen, vollenden Menschen mit Leidenschaft ihre Bulthaup-Küche.“ Auf den Seiten 8 und 9 dann das Inhaltsverzeichnis („Terror in Paris“, „Angriff auf die Freiheit“), danach doppelseitig das „Rundum-Sorglos-Paket“ der wo schon nicht "Bataclan"-, so doch „Club & Lounge Sondermodelle“ von VW: „Mit der neuesten Euro-6-Technologie“, „bis zu 4000 € Preisvorteil“ und „5 Jahren Garantie serienmäßig“.

„Das Leben ist der Güter höchstes nicht“ Schiller, 1803

Seite 14: „Weltweite Anteilnahme: Ob in New York, Rio oder Shanghai – überall leuchteten die Nationalfarben Frankreichs“, auf Seite 15 leuchtete immerhin das „Drunterhemd Mey Dry Cotton Functional“ in Reinweiß, es ist aber „auch im Farbton Skin“ erhältlich. Folgten drei Seiten Bestürzung und Trauer, dann der Peugeot 2008 („Eigener Kopf inklusive“) mit „2000 € Eintauschprämie“. Auf Seite 20 erzählten Stern-Reporter (m/w), „welche Augenblicke, Bilder und Gefühle sich in ihr Gedächtnis eingegraben haben“: „Ich laufe durch malerische Gassen zu den Plätzen, wo so viele Menschen gestorben sind“ und also nicht mehr in den Genuß des nebenan beworbenen „neuen Kindle Paperwhite mit brillantem, hochauflösenden Display“ gelangen werden. Wer umblätterte, las den Stabreimer Jörges „Härte und Humanität“ fordern, nebenan hatte die Uhrenfirma Mido solidarisch einen Eiffelturm über ihren (sehr schönen!) Commander Caliber 80 Chronometer gebastelt (unverbindliche Preisempfehlung 1120 Euro), woran sich 29 Seiten mit Fotos von Toten und Terror anschlossen, und erst auf Seite 53 durfte dann endlich Opel auf seinen neuen Astra mit „Massagesitzen und Matrixlicht“ hinweisen, bevor Frédéric Beigbeder seinen Senf dazugab. Dann Eon bzw. die „Eon-Solarprofis“, dann neun betroffen machende Seiten IS und Terror, auf Seite 67 endlich „die neue Miele CM7“-Heißgetränkmaschine („Exklusiv bei Miele: Automatisches Entkalken“).

Bis auf Seite 73 die anteilnahmsvolle Hamburger Berichterstattung fürs erste an ihre Ende gelangt und der Alltag zurück war und es wieder um „Geld: Meine Tips für eine sinnvolle Anlagestrategie“ gehen konnte, durften noch www.erdgas.info und die Volksbanken und Raiffeisenbanken um Aufmerksamkeit bitten, denn „jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt“, und das haben die Pariser und Pariserinnen ja nun gemerkt, nicht wahr!

Ich möchte nicht gern ermordet werden. Wenn es aber geschieht, dann sorgt bitte dafür, daß weder die Illustriertenpresse noch die Firmen bulthaup, VW, Mey, Peugeot, Amazon, Mido, Opel, Eon oder Miele Kapital daraus schlagen.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Eine Verantwortung

Sie können einem leid tun: „,Abscheuliches Verbrechen’. Deutsche Muslime verurteilen islamistische Gewalt … Einer der größten deutschen Islamverbände … sprach der französischen Regierung sein Beileid aus und grenzte den Islam von den Attentätern des sogenannten islamischen Staats (IS) ab. ,Alle Formen von Terrorismus und Extremismus sind völlig konträr zu den wahren Lehren des Islam’“, (SZ), was der ZDF-Ankermann Kleber vermutlich nicht in Zweifel zieht; und trotzdem fragt er den Vorsitzenden des islamischen Zentralrats gleich zweimal, ob der Islam da nicht „eine Verantwortung“ habe. Und der, ganz botmäßige Minderheit, muß das natürlich, wie gewunden und schwitzend immer, bejahen.

Es ist müßig, sich darüber zu streiten, ob der Islam eine friedliche oder eine kriegerische Religion sei. Das ist dann egal, wenn wir Religion, wo sie sich schon nicht abschaffen läßt, als die Privatsache behandeln, die sie ist. Als islamische neigt sie dazu, es nicht zu sein, denn die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, ist mit der Gesellschaft identisch; aber nirgends, nicht einmal in Teheran, steht Ahmed Normalmuslim morgens auf, um bis zum Abend die Ungläubigen ausgerottet zu haben. Er ist Arzt, Lehrer, Bäcker oder Straßenkehrer, und wenn er betet, dann fürs Heil nach dem irdischen Feierabend. Ein Christ macht das nicht anders, und daß er gegens Verhetztwerden immun wäre, wird man nicht behaupten wollen.

„(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat." §27 StGB

Das Problem, auch wenn öffentlich-rechtliche Aufklärer wie Kleber oder der Kommentator der Süddeutschen („der innerislamische Gesellschaftskrieg ist keine Erfindung des Westens“) das zu eskamotieren versuchen, ist – immer wieder, es tut mir leid – kein religiöses, sondern ein soziales, so wie schwarze junge Männer in den USA nicht darum massenhaft im Knast sitzen, weil Schwarze Kriminelle sind. „Unterdrückung, gescheiterte politische Systeme und starkes Bevölkerungswachstum sind die Brutstätten für das Entstehen islamistischer Gewalt“, weiß sogar Freund Frankenberger in der FAZ. „Ohne weitreichende Reformen kann der Terror dort nicht besiegt werden.“ Wer bislang kräftig mit unterdrückt hat, wem das politische System in Bagdad oder Damaskus egal gewesen ist, solange nur das Öl floß, und wie also die weitreichenden Reformen auszusehen hätten, ohne daß man an der Weltordnung aus Koch und Kellner rütteln müßte – als lasse sich der Imperialismus mit dem Sozialgesetzbuch aus der Welt schaffen –, verrät der Frankfurter Auslandsredakteur nicht. Der innerislamische Gesellschaftskrieg im Irak z.B. ist halt eine Erfindung des Westens, nämlich eine direkte Folge des Irakkrieges von 2003, und wer, ganz generell, ein Auskommen und Perspektiven hat, der interessiert sich für den Unterschied zwischen Sunnit und Schiit auch nicht dringender als der Katholik für die Frage, ob ein Geschiedener noch mal heiraten darf.

Aber der bürgerliche Journalist, dem der Dax allemal näher ist als der geflickte Rock eines irakischen Familienvaters, will ja die Dinge nicht ins Rutschen bringen; und also ist er „an sich“ (Polt) nicht gegen den Islam, läßt aber an der sittlichen Überlegenheit des eigenen Aberglaubens (und des zugehörigen Abendlandes) keinen Zweifel: „Was wir den Terroristen entgegensetzen müssen: Weiterzuleben wie bisher. Das christliche Heilsversprechen ist nicht schwächer als die irren Vorstellungen verblendeter Todesschwadronen.“ Er ist ein Schatz, der Reinhard Müller von der Frankfurter Allgemeinen: unser Christentum gegen deren Todesschwadronen. Unser Christentum, dessen Kriminalgeschichte allerdings bekannt ist und das sich die Erde auf eine Weise untertan gemacht hat, die allenfalls die Wünsche jener Milliarden offen läßt, die dabei nicht mitmachen dürfen. Weiterzuleben wie bisher, auf ihre Kosten: das ist kein Rat, das ist, in jeder Beziehung, Beihilfe.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Triumph des Willens

Vernunft, Disziplin, Pragmatismus, Präzision – nach einem Fernsehnachrufabend und einem Pressenachrufmorgen in Sachen Helmut („Schnauzbart“) Schmidt konnte einem schon der Kopf schwirren, wie die zuständigen Stellen annähernd kritiklos den „Oberleutnant der Nation“ (Süddeutsche Zeitung) als das „lebende Vorbild der Deutschen“ (ZDF) hochleben ließen; und freilich sehr zu Recht; denn niemand hat die Landsleute so mit ihrer „schwierigen Geschichte“ (Schmidt) versöhnt wie der Oberleutnant der Wehrmacht, präzise Macher und disziplinierte Verantwortungsethiker, für den Visionäre bekanntlich Patienten waren.

Helmut Schmidt, ein deutsches Leben: Als Kind mit Gewalt auf Disziplin getrimmt, das späterhin selbstmörderische Pensum mit dem Glauben an (und das Reden über) Pflicht, Vernunft und Sittlichkeit überhöhend, die Akten mit preußischem Grimm in die Urlaube schleppend. Als Personifikation der „sauberen Wehrmacht“ tat Schmidt, der Bildungsbürger aus gutem Hause, auch im Krieg nur diese seine Pflicht und war nach eigener Aussage (in der Doku „Lebensfragen“, bei Youtube) „in erster Linie Soldat“ und schon darum „Anti-Nazi“, der in Kategorien wie „Täter und Opfer“ nicht gedacht habe, schließlich: „Im Kriege ist in vielen Situationen das Denken ausgeschaltet.“ Und vorher womöglich auch schon, denn Schmidt meldet sich (was in den Nekrologen regelmäßig unterschlagen wird) trotz guten Klavierspiels und Bedenken in puncto Führer freiwillig zur Ostfront, weil er, eigenes Zitat, „nicht als Feigling“ gelten und ein Eisernes Kreuz haben will. Da gehen dann natürlich auch mal Dörfer in Flammen auf, denn „den Gegner“ habe man ja „nicht gesehen“. Ob man sagen könne, die Deutschen seien von Hitler verführt worden? will der Interviewer di Lorenzo da wissen: „Verführt von den Nazis, das würde ich unterschreiben. Jede Volksmasse ist verführbar.“

„Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. [...] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“ Lafontaine, 1982

Schmidt meistert, unter strenger Umgehung des Dienstwegs, die Hamburger Sturmflut und hält ’68 und die Umwelt- und Anti-Akw-Bewegung für eine Verirrung verwöhnter, ungedienter Kinder. Der Nato-Doppelbeschluß, der einen auf Mitteleuropa begrenzten Atomkrieg zur Freude der USA denkbar macht, ist Schmidts Idee, die Rede von der „Nachrüstung“ dabei eine Lüge, denn die Aufstellung der sowjetischen SS 20 „stört nicht das atomare Gleichgewicht, sondern sie stellt es (gegen die luft- und seegestützten Mittelstrecken der Nato) erst her“ (Gremliza, 1983). Ziel dieser „Nachrüstung“ ist vielmehr die „Totrüstung“ (ders.) der UdSSR, und 30 Jahre später weiß die SZ-Nachruferin Roll, „daß der Nato-Doppelbeschluß richtig war auf dem Weg zur Wiedervereinigung“.

Die Ermordung des hochrangigen SS-Mannes Schleyer durch die RAF hat Schmidt sehr getroffen (Hanns-Martin-Schleyer-Preis 2013). Schmidt, stets wirtschaftsfreundlich, hat die unbequemen Reformen des pragmatischen Agendakanzlers Schröders vorausgedacht und ihm geraten, „das Notwendige auch dann zu tun, wenn es zunächst unpopulär ist“. Lange vor Schröder war es Schmidt gelungen, die SPD „abzuschneiden von den Traditionen der Arbeiterbewegung“ (Gremliza), er hat sie „auf den Hund gebracht“ (ders.), denn Solidarität hatte er „im Schützengraben“ (Schmidt) gelernt. Und deshalb galt: „Egal was Schmidt sagte, es galt“ (FAZ) und war der „Hamburger Pragmatiker für viele eine moralische Instanz“ (Tagesthemen), u.a. für die beim Finanzamt als Journalistin geführte Sandra Maischberger, die den Altkanzler wiederholt solo zu Gast hatte und deren servile Schülerzeitungsfragen („Ist Gauck ein besserer Präsident als Wulff?“) die ARD in einem Spezial noch einmal versammelte.

„Ohne Opfer wird dieser epochale Kampf nicht zu bestehen sein. Obsiegen kann in der Konfrontation mit dem Terrorismus nur, wer sich von ihm nicht einschüchtern läßt. Was hätte Deutschland von Helmut Schmidt gelernt, wenn nicht das? Berthold Kohler, FAS, 15.11.2015

Zum Schluß war Schmidt uralt und sein hohes Alter, wie sein ganzes Leben, ein „Triumph der Disziplin, des Willens“ (Roll). Rundum mithin „ein großer Deutscher“ (faz.net.) Ehre seinem Angedenken; seine Bundestagsreden waren klasse.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die beste aller Welten

Drei Wochen sind vergangen, seit ich die Meldung auf hessenschau.de mit einem Lesezeichen versehen habe, und seit drei Wochen hat sie im wesentlichen niemanden weiter interessiert: „Bei Baustellensicherung: 71 Jahre alter Straßenarbeiter auf A7 tödlich verletzt. – Schwerer Unfall am Freitagmorgen auf der Autobahn 7 bei Knüllwald (Schwalm-Eder): Ein Straßenarbeiter eines privaten Dienstleisters war gegen 7 Uhr dabei, eine Baustelle mit Warnbaken zu sichern. Danach wollte der 71 Jahre alte Mann laut Polizei offenbar über die Fahrbahnen zurück auf den Standstreifen laufen. ,Dabei muß er den Verkehr nicht beachtet haben’, hieß es von der Polizei. Der 71jährige sei beim Überqueren direkt vor ein Auto gelaufen. Er erlitt schwerste Verletzungen und wurde mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Dort starb er wenig später. Von dem Unternehmen, für das er tätig war, war am Freitagmittag keine Stellungnahme zu erhalten.“

Auch die Illustrierten in meinem Rückenstudio sind, weil es ein sehr billiges Rückenstudio ist, etwas älter, und so trifft es sich, daß diese Meldung, die ich vorgestern las, ca. genau so lange her ist: „Luxus aus der Dose. Gourmetkost für den Hund ist der neue Trend für stilbewußte Tierbesitzer. – Es darf nur vom Feinsten sein. Wer etwas auf sich hält, füllt den Freßnapf seines Vierbeiners jetzt mit Gourmetkost. Rund vier Milliarden Euro geben die Deutschen pro Jahr für Tierfutter aus – und achten auf Vitamine und Omega-Fettsäuren in Designerdosen und -tüten. Claudia Weidung-Anders, 43, Frau von Popstar Thomas Anders, bedient mit ihrer Firma Home & Dogs den Trend, betreibt standesgemäß sogar einen ,Showroom’ auf dem Klostergut Besselich bei Koblenz (…). ,(...) lasse ich jetzt in Zusammenarbeit mit erfahrenen Metzgern und Ernährungsexperten frische Rohstoffe im Schongarverfahren verarbeiten, glutenfrei, teilweise hypoallergen.’“ 

„Außer luddistischen Müslifressern wird niemand etwas schlecht finden, das aus dem Leben nicht mehr wegzudenken ist.“ David Foster Wallace, 1996

Als Patriot und Freund des Standorts bin ich ich gern bereit anzunehmen, daß ein 71jähriger in diesem Land nicht gezwungen ist, im Straßenbau zu arbeiten, vielmehr aus völlig freien Stücken die Gelegenheit nutzt, auf der A7 das Taschengeld zu verdienen, das er für die glutenfreie, teilweise hypoallergene Designkost verwendet, die seine Töle so unbedingt benötigt. Und während er mit 71 ganz freiwillig für einen privaten Dienstleister, der ihm gerne den Gefallen tut, auf der BAB den Arsch hinhält, liest seine Frau (jetzt Witwe) daheim in derselben Bunten, daß Hugh Grant den zwei Frauen, von denen er drei Kinder hat und ein viertes bekommt, in London mal eben zwei Häuser gekauft hat, und sie schüttelt den Kopf und denkt: Vier Kinder von zwei Frauen! So ein Schlawiner! Sie denkt nicht: Die einen kaufen hypoallergenes Hundefutter in Designerdosen oder mal eben für zwanzig Millionen ein paar Immobilien, und mein Mann trägt mit 71 in aller Frühe Warnbaken über die A7, weil die Rente nicht reicht. Denn dafür ist die schreckliche Bunte da, daß man (eher: frau) solche Gedanken unter gar keinen Umständen hat.

Auf den topkritischen Kommentar in der Hessenschau oder sonst einem unserer bewährten Meinungsmedien kann man, „25 Jahre nach dem Sieg der Freiheit über den Kommunismus“ (Die Zeit in anderem Zusammenhang), allerdings ebenfalls warten, bis man so schwarz geworden ist, wie sie es alle, alle sind.

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die ewigen Fremden

Ich bin, eine Alterserscheinung, gar nicht mehr ganz so scharf auf Originelles, was mir als Morgenzeitungsleser sehr zupaß kommt: „Oft stehen die Erwartungen der Familie einer Entscheidung für das Handwerk im Weg. Viele Eltern glauben, daß nur ein Studium eine gute Zukunft sichert“, steht prima scheinheilig in eben jener SZ, deren Kundschaft durch die Bank glaubt, daß ausschließlich ein Studium eine gute Zukunft sichert; in der Frankfurter Konkurrenz warnt Altenbockums Jasper zum tausendsten Mal vor „überschießender Moral“ in Sachen Flüchtlinge; und in beiden Organen war zum Themenkonnex Wurst und Krebs zu lesen, das Problem sei nicht die Wurst, sondern das fehlende Maß. Wo ja strenges Maßhalten bekanntlich auch die Essenz unserer schönen Grundordnung ist.

Daß die Affaire auch eine nationale Komponente hat, fiel, wiederum in München, überraschenderweise dem populären Koch Vincent Klink ein; bei den Angelsachsen sei nämlich alles noch viel schlimmer: „Fast überall ist da Nitritpökelsalz drin … Myriaden von amerikanischen oder englischen Frühstückswürstchen (zusätzlich noch mit rosa Farbstoff) haben sich an fröhlichen Konsumenten vergangen … Die WHO und die internationale Krebsforschungsagentur IARC sind durchaus seriöse Institutionen, in denen englisch gesprochen und gefrühstückt wird. Sollen sie sich doch erst mal um die englischsprachigen Länder kümmern! … Das deutsche Kulturgut Wurst läßt sich von Ausländern gar nicht erfassen; selbst wir deutschen Aborigines haben nur selten die Künste eines wirklich guten Metzgers kennengelernt.“ Was Klink, erwartbar, nervt, sind „diese ganzen Ermahnungen der internationalen Gesundheitspolizei“, die „den aufrechten Landwirten und ehrlichen Metzgern“ unrecht tun, zumal den deutschen; und was evtl. sogar (Achtung, Metapher!) ironisch gewürzt war, klingt trotzdem so wie Springer über VW: Schlimm, aber die Amis sind doch noch viel schlimmer!

Die freilich fragen könnten: What’s that got to do with anything? Für Slow-Food-Qualitätsfleisch vom wirklich guten Metzger könnte sich eins ja auch einfach so verwenden, ohne Seitenhieb aufs perfide Albion; aber „wir Deutsche“ (faz.net, 31.10.2015) stehen halt neuerdings zu Schutz und Trutze wieder sehr brüderlich zusammen, und da machen auch im übrigen ganz unverdächtige Leute mit, weil das halt (Achtung, Metapher!) in der soziokulturellen DNS so drinsteckt.

„... werden die Schweine schonend und würdevoll geschlachtet.“ Aus einer Kabel1-Reportage über Ökofleisch, 2015

Und wenn dann ein junger jüdischer Deutscher ein Buch darüber schreibt, warum er, als Jude, jetzt nach New York geflohen ist, dann lobt die FAZ-Rezensentin zwar pflichtschuldig die Jagdszenen aus Märchendeutschland: „Dann nach der Schule, ein paar Jahre später. Daniel, etwas älter und bewaffnet mit einem elektrischen Rasierapparat, jagt Yascha Mounk, versucht ihm, um ein bißchen KZ nachzuspielen, die Haare abzurasieren. ,Ständig sagt ihr Juden uns, was wir zu tun haben (. . .) Aber damit hat sich’s jetzt. Wir werden euch schon zeigen, wer hier das Sagen hat’“; kann aber gar nicht verstehen, was das laut Autor Mounk mit dem einstigen Frankfurter Allgemeinen Haushistoriker Ernst Nolte zu tun haben soll. Und stellt, wie einst das Reichssicherheitshauptamt, eine Emigrationsgenehmigung allenfalls zögernd aus: „In dieser Geschichte und in sehr vielen anderen sehnt sich Yascha Mounk nur nach dem Dazugehören: Doch durch sein Leben und Buch treiben sehr viele Deutsche, die ihn einfach nicht dazugehören lassen. Sein ,Echt, du bist Jude?’ ist deshalb auch so paradox – denn einerseits schafft Mounk es, dieses Land in seiner Realität zu beschreiben, das Fremde immer wieder vor die Entscheidung stellt, sich entweder vollkommen anzupassen in Deutschland oder [der] ewige Fremde zu bleiben. Auch Yascha Mounk stand vor dieser Entscheidung. Er ist nach New York gezogen, weil er sich nicht hatte anpassen können und wollen, so denkt er es, schreibt er es. Andererseits aber schreibt Mounk so viel Angepaßtes in seinem Buch, daß man ihm die Entscheidung, ein Unangepaßter bleiben zu wollen, nicht abnimmt. Zu oft verleugnet er sich als Fremder in Deutschland, so oft, daß man zum Schluß erkennt: Yascha Mounk, der neue New Yorker, ist ein echter Deutscher geworden.“ Was er als deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens vorher nicht war? Als Ewiger Fremder? Der das Sich-Verleugnen gegenüber Deutschen, die von einem jüdischen Landsmann (Über-)„Anpassung“ erwarten, satt hatte? Und erst eingemeindet wird, als er Republikflucht begeht? Weil wir in Stalingrad gesiegt hätten, hätten wir bloß unsere Juden dabei gehabt?

Aber das nur von mir, dem nationalen Gesinnungspolizisten, der gerade Nicholas Stargardts „Der deutsche Krieg 1939–1945“ liest und von treuen Heimatfronten und deutschen Metzgern grad wirklich genug hat.  

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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Sack und Pack

Man wird nie recht glücklich mit Meinungsverboten, und sei’s nur deshalb, weil sie den Delinquenten ins Recht setzen: „Es reicht ... nicht, zu sagen, der Pirinçci ist ein Nazi“, sprach der Nazi Pirinçci der Nazizeitung Junge Freiheit in den Block. „Nein, sie wollen, daß ich nicht mehr weiterrede. Sie wollen meine Existenz vernichten ... Ich habe vorhin mit meinem alten Verleger von Random House telefoniert. Er hat mich darauf vorbereitet, daß sie meine Bücher nicht mehr weiter verbreiten. Alle Bücher, die ich geschrieben habe. Es wäre ein unfaßbarer Druck aufgebaut worden, und zwar ausgerechnet von anderen Autoren, also von Kollegen. Das ist wirklich unglaublich. Unsere Instrumente als Autoren sind die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Kunstfreiheit. Wenn Politiker oder normale Bürger Boykotte fordern, kann ich das verstehen, aber wenn so etwas ausgerechnet von Kollegen kommt, dann ist das für mich unfaßbar. Schriftsteller verlangen, daß ein anderer Schriftsteller verboten wird … In welcher Zeit leben wir denn, wenn Kollegen, deren Instrument die Meinungsfreiheit ist, fordern, daß ein Schriftsteller verboten wird? Sogar harmlose Bücher wie Katzenkrimis. Die Kollegen hätten mir doch mit der gleichen Wortwahl antworten können. Die könnten doch sagen, der Pirinçci ist ein Wichser oder ein Arschloch oder ein Nazi. Einer von der übelsten Sorte. Das kann man doch machen. Aber daß man hingeht und sagt, vernichtet seine Existenz, das gab es doch eigentlich nur in den Nazi-Zeiten, dachte ich. Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Ich käme nie im Leben auf die Idee zu sagen: Verbietet die Bücher von Sibylle Berg.“ Die nämlich, jedenfalls laut Pirinçci, für seinen Rauswurf eingetreten war.

„Du willst es. Du kriegst es.“ Handywerbeslogan, 2007ff.

Der Volksverhetzungsparagraph ist rechtstheoretisch nicht unheikel, und überhaupt wird es rutschig, wenn die Grenzen der Meinungsfreiheit weit überschritten werden: Kann eine Meinung „verbrecherisch“ sein? Sie kann verbrecherisch wirken; aber heißt das, daß der Führer das deutsche Volk dereinst „verhetzt“ hat? Exkulpiert das, wenn einer hetzt und andere folgen, nicht die Umstände und Interessen, die Hetze begünstigen, fördern, billigen, benötigen? Hat das, was der Wichser Pirinçci gesagt/insinuiert hat: daß es noch so weit kommen werde, daß Deutsche ins KZ müssen, nicht einfach die allgemeine deutsche Opferjammerei in puncto Versailles, Bombenkrieg, Vertreibung auf den Begriff gebracht? Ist, apropos, der ehrbare Horst Seehofer nicht ein ebenbürtiger Rassist, wenn er sich den Vergleich von deutschen und syrischen Vertriebenen verbittet? Hat Random House seinen (einträglichen) Autor Pirinçci das Hetzbuch „Deutschland von Sinnen“ nicht ohne weiteres durchgehen lassen, und beruht dessen sagenhafter Erfolg nicht darauf, daß kein Satz darin steht, der so oder ähnlich nicht auch schon bei Springer zu lesen war? War Knut Hamsun (Random House) nicht ein glühender Bewunderer Hitlers und der Meinung, daß es für die deutschen Konzentrationslager „gute Gründe“ gebe? Ist es nicht, freundlich gesprochen, ein wenig kurios, wenn die Fa. Bertelsmann, Erfinderin von Hartz IV und Bologna-Uni, sich via Pirinçci als Hüterin von Demokratie und Menschenrecht in die Brust wirft? Und es nicht vielleicht auch hier so, daß den Sack zu schlagen heißen muß, den Esel zu meinen?

Ich stehe sicher nicht im Verdacht, mit dem Naziwichser P. zu sympathisieren (vgl. TITANIC 5/2014). Aber ich bin selten glücklich mit Meinungsverboten, und sei’s nur deshalb, weil sie noch das größte Arschloch ins Recht setzen. 

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Liebe britische Fallschirmspringer/innen!

Bei der diesjährigen D-Day-Gedenkfeier habt Ihr die Landung in der Normandie nachgestellt. Wegen des Brexits musstet Ihr aber direkt im Anschluss zur Passkontrolle. Danach erst ging’s weiter zur Feier.

Jetzt wollten wir mal ganz lieb fragen, ob Ihr angesichts des ganzen Rechtsrucks in Europa beim nächsten Mal dann wieder auf solche Formalitäten verzichten und stattdessen Nazis abknallen könnt?

Mit ganz großen Augen: Titanic

 Kinky, Senckenberg-Museum Frankfurt!

In Sachen Außenwerbung wolltest Du offenbar ganz am Puls der Zeit sein. Deshalb orientiertest Du Dich an Kampagnen wie der von diesem Start-up, das seine pfandfreien Mehrwegbehälter mit dem Slogan »Bowljob for free« anpreist – ein freches Wortspiel für Sex- und Porno-Fans!

Auf Deinem Plakat sehen wir das Bild eines Tintenfisches vor schwarzem Hintergrund, dazu den Text »Wilder Kalmar wartet im Darkroom«. Ha! Der augenzwinkernde Hinweis auf anonymen Gruppensex ist uns nicht entgangen, Senckenberg!

Aber warum da aufhören? Wann sehen wir Slogans wie »Doktorfisch will Dich untersuchen«, »Ausgestopfter Affe wartet auf der Sexschaukel« oder »Orchidee erblüht im Garten der Lüste«?

Schon ganz geil auf die Natur: Titanic

 Gurr-gurr, Limburger/innen!

Im Rahmen eines Bürgerentscheides habt Ihr für das Töten von Tauben in Eurem Stadtgebiet gestimmt. Die Vögel sollen durch Genickbruch abgemurkst werden. Wir wüssten nun noch gerne, ob diese Hinrichtungen öffentlich abgehalten werden. Und können die Moribunden Kirchenasyl in Eurem Dom bekommen? Oder gibt das Bistum dieser Hexenjagd seinen Segen?

Fragt die Rattenfängerin der Lüfte Titanic

 Ähm, »Radio Wuppertal«?

Vielleicht solltest Du aus Gründen der Motivationsförderung dem Online-Redakteur, der die Meldungen für Deine Internetseite abtippt, wenigstens Mindestlohn zahlen oder ihm ab und an eine warme Mahlzeit hinstellen. Denn sonst wird eine Überschrift wie »Messerangriff oder so in Unterbarmen« nicht die letzte ihrer Art gewesen sein.

Gut gemeinter Ratschlag oder so von Titanic

 Byung-Chul Han!

Gern lasen wir in den letzten Jahren Ihre kritisch-theoretischen Bändchen über die »Müdigkeitsgesellschaft« und die »Transparenzgesellschaft« und hielten jetzt die vierte (!), 2022 erschienene Auflage Ihrer »Palliativgesellschaft« in den Händen, allwo Sie, der Sie natürlich Adornos Wort kennen, dass auf dem Grunde der herrschenden Gesundheit der Tod liege, vor einer Hygienediktatur warnten: »Die Quarantäne ist eine virale Variante des Lagers, in dem das nackte Leben herrscht. Das neoliberale Arbeitslager in Zeiten der Pandemie heißt ›Home-Office‹. Nur die Ideologie der Gesundheit und die paradoxe Freiheit der Selbstausbeutung unterscheiden es vom Arbeitslager des despotischen Regimes«, außerdem der Kaffee-Vollautomat, schnelles Internet und ein weiches Bett, die Plattensammlung und der volle Kühl-, Kleider- und Schuhschrank sowie der Lesesessel, in dem sich dann erfahren lässt, dass es im Gulag wenigstens keine Ideologie der Gesundheit gibt.

Könnte Nawalny es bestätigen, er tät’s!

Darauf noch einen Macchiato: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Aufschieberitis

Ich schiebe alles gern auf, inzwischen sogar Erkrankungen: Der Nephrologe zeigte sich höchst erstaunt, wie lange ich schon an einer behandlungsbedürftigen Nierenbeckenentzündung laboriert haben musste, bis diese sich schließlich schmerzhaft bemerkbar gemacht und mich zu ihm geführt hatte. Wahrscheinlich leide ich an Prokrastinieren.

Thorsten Mausehund

 Körper-Wunder Mensch

Wussten Sie schon, dass Finger- und Zehennägel den Hauptteil ihres Wachstums ausgerechnet in der Zeit, während der man nicht hinsieht, absolvieren? Man lernt nie aus …

Theobald Fuchs

 Rhetorischer Todesstern

Anstatt vor der Reise nach Irland mühsam meine eingerosteten Conversation-Skills aufzufrischen, hatte ich mich dazu entschlossen, einfach ein paar cool klingende Star-Wars-Zitate auf Englisch auswendig zu lernen. Beim abendlichen Guinness wollte ich in der dunkelsten Ecke des Pubs sitzen, die langen Beine mit den Wanderstiefeln entspannt auf dem Tisch abgelegt, und – sollte mich jemand etwas fragen – mit einer lässig dahingerotzten Antwort aus »Das Imperium schlägt zurück« geheimnisvoll und verwegen wirken. Obwohl ich mich dabei genau an das Skript hielt, wurde ich bereits ab dem zweiten Tag von den Locals wie ein Irrer behandelt und während des kompletten Urlaubs weiträumig gemieden. Ich glaube zwar nicht, dass es an mir lag, aber wenn ich einen Kritikpunkt nennen müsste, dann diesen: Ausschließlich Sätze in Wookie-Sprache zu verwenden, war möglicherweise ein Fehler.

Patric Hemgesberg

 Vorteil Mensch

In der Süddeutschen lese ich »Scholz will sich einschalten« und denke: Das kann die Künstliche Intelligenz noch nicht.

Jürgen Simon

 Offene Fragen

Wenn man älter wird – also nicht mehr jung, aber noch nicht tot ist –, fängt man unweigerlich an, sich Gedanken über die noch offenen Fragen im Leben zu machen. Eine meiner: Was hat es mit dem Lied auf sich, das mir in meiner bedauerlicherweise in der Pfalz verbrachten Kindheit und Jugend immer wieder begegnet ist? Vorgetragen von Alkoholisierten verschiedenen Alters: »Wichs am Bee, wichs am Bee / Fasnacht is schon lang nimee« – zur Melodie des Narhallamarsches. Neben dem faszinierenden, aber eher unwichtigen Umstand, dass es im Pfälzischen möglich ist, »nicht mehr« auf »Bein« zu reimen, treibt mich die Frage um: Was genau bedeutet das: »Wichs am Bee, wichs am Bee / Fasnacht is schon lang nimee«? Liege ich richtig in der Annahme, dass der Autor dieses Liedes bedauert, sich selbst befriedigen zu müssen, weil die Fastnacht vorüber ist und – vermutlich – nicht mehr genug vom Alkohol derangierte Menschen verfügbar sind, um Sexualpartner abzugeben? Und wenn das so ist: Warum singen das so viele Leute nach? Ist das etwas, das vielen Pfälzer Männern so geht? Warum schaffen es pfälzische Männer außerhalb der Fastnacht nicht, Geschlechtsverkehr zu haben? Gut, am absolut sexualfeindlichen Dialekt könnte es liegen. Aber selbst dann bleibt die Frage: Warum wichst sich der Pfälzer aufs Bein? Um dann die Abwesenheit der sexbringenden Fastnacht zu beklagen – in Form der Fastnachtsmelodie schlechthin?

Man sieht: Es sind noch genug Fragen offen, dass wir nicht sterben müssen. Bitte beantworte sie niemand!

Tim Wolff

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