Newsticker

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Schon auch rechtsradikal

Ich verfolge ja weißgott (gottlob) nicht alles, und vielleicht war einer ja noch schneller als der Dresdner Professor Werner J. Patzelt in der FAZ, auf den unbedingt nötigen Gedanken zu kommen, daß Protest gegen Pegida auch bloß wieder diese leidige Politkorrektheit wär’: „Woher kommt jenes Triumphieren, wenn ein Pegida-Zug durch Straßenblockaden gestoppt, eine Pegida-Kundgebung durch Trillerpfeifen übertönt, eine Pegida-Versammlung durch schiere Übermacht der Gegner verhindert wurde? … Und was macht die anderen so zornig über ihre Deutung durch Gegner und Medien, so wütend über das Verhalten gegen sie, daß ihr lautes ,Wir sind das Volk!’ vor allem nach Trotz, kaum nach Stolz klingt? … Man selbst gehört natürlich zu den Anständigen, sonst zöge man ja nicht in den Kampf … Derlei Selbstempfinden scheint nach besonders klarem Ausdruck zu verlangen. Wohl deshalb sind, wo immer sie aufeinandertreffen, Antipegidisten viel lauter als die Pegidianer. Zudem wird bei No-Pegida stilvoll ,gerufen’, bei Pegida aber stillos ,gebrüllt’. So wenigstens liest man es anderntags in der Zeitung.“

Denn das legendäre linke Meinungskartell, das gibt es nach wie vor: „Die Macht zu deuten, was rechts wäre, haben wir denen überlassen, die sich links oder mittig geben. Was einmal als ,rechts von der Mitte’ gilt, sehen wir schon in Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Faschismus abrutschen … Gut ist hingegen, wer – und was – den Faschismus bekämpft. So entstand ein gefühlt klarer Kanon dessen, was an Betrachtungsweisen, Begriffen, Sprachformeln und Argumenten in Deutschland ,geht’ oder eben ,nicht geht’. Wer sich daran hält, darf am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Wer sich gegen diesen Kanon vergeht, ist auszugrenzen – und sei es als ein ,Latenznazi’, der einfach nicht weiß, was er wirklich ist.“

Es ist also wieder mal die politische Korrektheit, die aus einer ganz normalen Meinung eine rechte Meinung macht, und die politische Korrektheit, sie wohnt in der Tagesschau und im Leitartikel, wo man tatsächlich darauf achtet, daß die Exportnation Deutschland immer dann offiziell den Kopf schüttelt, wenn rechts von der Mitte Asylbewerberheime belagert werden. Viel linker wird es dann aber nicht, und wenn es stimmen mag, daß „Journalisten eine im Durchschnitt linkere Einstellung als die Bevölkerung“ haben, dann hat das nichts mehr mit früheren Rotfunkhäusern wie dem Hessischen Rundfunk vor 1990 zu tun; wer auf Youtube sieht, wie Väterchen Degenhardt einst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die kommunistische Klampfe schlug, der darf zu dem Schluß kommen, daß der linke Medien-Mainstream, der den Leuten so konsequent das Maul verbietet, höchstens noch bedeutet, daß man Schwarze nicht Neger nennen soll.

„Das Volk steht auf, der Sturm bricht los.“ Körner, 1813  

In Dresden, so erfahren wir, laufen „schon auch Rechtsradikale“, im übrigen aber „Arbeiter und Angestellte“, mithin „ganz normales Volk“, dessen Überzeugungen sich aber nicht gegen Springer, Stern und ZDF gebildet haben, sondern, bei allem Furor gegen die sog. Lügenpresse, mit ihnen, und sei es nur in der sommermärchenhaften Sitte, „Fahnen [zu] tragen, mit denen wohl auch die Leute von links und aus der Mitte bei Fußballturnieren zum Public Viewing gehen. Und die um Schwarz-Rot-Gold Versammelten rufen nichts Schlimmeres als ,Wir sind das Volk!’“. Und das Volk, dies die Quintessenz, ist der Souverän, und der Souverän hat seine Meinung, einfach so, unvermittelt, aus sich heraus, und wer diese Meinung für rechts hält, der denunziert den „Volkswillen“ (Patzelt), der dann eben, als „Magma unrepräsentierten Volksempfindens“, zum Ausbruch drängt: „Unterdrücken wird sich solcher Vulkanismus auf Dauer nicht lassen.“

Der Patzelt versteht’s als gutgemeinten Rat „zum Wohl unseres Landes“ und „unserer pluralistischen, repräsentativen Demokratie“. Mir klingt es eher wie eine kleine faschistische Phantasie, die an genau jenem Diskurs teilnehmen darf, der derlei doch, dachte ich, so streng verbietet. 

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Werte? Ordnung!

Der Islam, sagt die Kanzlerin, soll jetzt also mal in sich gehen und sein Verhältnis zur Gewalt klären, denn Islam und Islamismus, steht in der Zeit (und vielerorts sonst), haben eben doch mehr miteinander zu tun, als die moderaten Muselmanen uns weiszumachen versuchen. Der frische Focus hat „dementsprechend“ (Matthias Sammer, FC Bayern) dies auf dem Titel: „‚Das hat nichts mit dem Islam zu tun’ – Doch! Glaube und Gewalt: Warum Muslime ihre Religion jetzt erneuern müssen – und wie die Freiheit zu verteidigen ist“. Denn: „Über unsere Werteordnung können wir nicht verhandeln“ (Wolfgang Bosbach, CDU). Schön.

Andererseits berichtet die Frankfurter Allgemeine wie folgt (Hervorhebungen von mir): „In Dreux bei Paris boykottierten 60 Schüler die Gedenkzeremonie. Sie verlangten eine Schweigeminute ,für Palästina’. Ihre Familien sind den Ordnungskräften als Besucher einer salafistischen Moschee bekannt. In der zum Schulbezirk der Sozialwohnbausiedlung La Grande-Borne zugehörigen Schule ertönten während der Schweigeminute ,Allahu Akbar’-Rufe. Der Terrorist Amedy Coulibaly wuchs in diesem Hochhausviertel bei Paris auf … Die Stimmung ist so aufgeheizt, daß es auch zu Auseinandersetzungen zwischen Schülern kommt. ,Le Figaro’ schreibt, daß eine Gruppe von Jugendlichen von einer Berufsschule in Senlis auf Schüler des benachbarten Gymnasiums mit dem Kampfschrei ,Wir legen noch mehr ,Charlie Hebdos‘ um’ zustürmte und diese zu verprügeln versuchte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt … ,Mit ein paar Unterrichtsstunden mehr in Staatsbürgerkunde wird diesen Zwischenfällen nicht beizukommen sein’, sagte der frühere Bildungsminister Jack Lang“, der als guter Bourgeois auch weiß warum: weil es nämlich seinen schlechten Grund hat, daß Terroristen mehrheitlich aus Hochhausvierteln kommen, „Allahu Akbar“ vornehmlich in Sozialbausiedlungen gerufen wird und muslimische Berufsschüler auf (nichtmuslimische) Gymnasiasten losgehen und nicht umgekehrt.

„Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“ Marx, 1844

Daß kein Riß durch die Gesellschaft gehen dürfe, davor warnen alle, die Kommentatoren und Wohlmeinenden und Abendlandbesitzer, und es kommt ihnen sehr zupaß, lauthals einen Kulturkampf annoncieren zu können, wo es sich doch ganz offensichtlich ein kleines bißchen auch um Klassenkampf handelt, und zwar einen von der schmutzigen, bewußtlosen, religiös verdummten Sorte. „Die drei Attentäter von Paris und ihre mutmaßliche Komplizin wurden in eine feindliche Welt aus Beton geboren. Aber sie hatten Chancen, ihren Platz im Leben zu finden“ (Süddeutsche) – so kann es gehen, und so geht es immer wieder, und kaum ist, man weiß nicht wie, eine Chance futsch, steht schon der Islam mit der Kalaschnikow bereit und gefährdet unsere Werteordnung.

Und während darum noch alle ganz Charlie sind, hat der saudi-arabische Blogger Raif Badawi für „Beleidigung des Islams“ die ersten 50 von 1000 Peitschenhieben erhalten, was den Ruf des Islams als Gewaltreligion nicht eben erschüttert: „Badawi hatte den ägyptischen Aufstand gegen Präsident Hosni Mubarak 2011 bejubelt – ein Alptraum für den Hof in Riad … Er trat für die Trennung von Religion und Staat ein – und dies unter der Herrschaft einer Königsfamilie, die ihre schiere Existenz der Koalition mit dem rückwärtsgewandten islamischen Wahhabismus verdankt“ (SZ). Religion ist Opium des Volks, und über die Qualität des Rauschgifts zu lamentieren verdeckt die eigentliche Frage, die in Dreux so gestellt gehört wie in Riad und aber von FAZ bis Zeit allenfalls mal angedeutet wird, weil die Antwort nicht genehm sein kann: warum das Volk denn überhaupt Opium braucht.

(Für die Antwort braucht es keine halbe Stunde Staatsbürgerkunde.)

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Zum Geleit

Daß alles immer schlimmer wird, versteht sich auch im neuen Jahr von selbst und hat noch immer nichts mit Verschwörung zu tun, sondern mit allen, die ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verrichten: „Doch auch die Reaktion darauf“, auf den Pariser Anschlag, „kennt jetzt oft kein Maß mehr. Alles wird in einen Topf geworfen und zu einer großen Verschwörung von Politik und Medien verkocht, deren Ziel es sei, ,das Volk’ dumm und devot zu halten. Das ist nicht nur eine Beleidigung des ,dummen’ Volkes und der vielen Journalisten, die ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verrichten, selbstverständlich ohne Weisungen aus Washington oder dem Kanzleramt zu erhalten.“

Es ist freilich mißlich, dem Berthold Kohler (FAZ) mal recht geben zu müssen, aber allein deshalb angezeigt, damit die gängige kritisch-theoretische Linksanalyse, das Volk sei keins aus mündigen Bürgern, sondern aus devoten Kunden von Springer und Jauch, nicht mit einer verwechselt wird, die verkennt, daß der Pegida-Hammel, der sie vorträgt, Fleisch vom Fleische ist. Selbstverständlich kriegt der Kohler keine Weisung aus dem Kanzleramt, z.B. den Mindestlohn nicht schön zu finden, den findet er eh nicht schön, weil es sein Klasseninteresse ist, und wenn überhaupt einer Weisungen erhält, dann umgekehrt das Kanzleramt von der FAZ, „eine Art reziproker Prawda“ (Gremliza).

Das hatten wir aber schon, und wenn ich es hier noch mal notiere, dann wegen des Schocks, der mich ankam, als das ZDF auf seinen „Event-Dreiteiler“ titels „Tannbach“ aufmerksam machte: „Tannbach – das Schicksal eines Dorfes, das Schicksal einer Nation“ und so nämlich zu der Erkenntnis zwang, daß derlei braune Soße nicht einmal mehr aus manipulativer Überlegung angerührt wird, sondern dem nächstbesten Werbe- oder Fernsehesel einfach so aus der Rübe rinnt. Weil, man redet und denkt wieder so, und man denkt sich nichts dabei, denn Nation ist super, und was ein Schicksal ist, ein nämlich unverdientes, das weiß kein Arsch.

„Tannbach“, eigentlich das von der Staatsgrenze West der DDR geteilte Mödlareuth, also ein Schicksalsort, weil das Schicksal der deutschen Nation darin bestand, 30 Millionen Menschen nach bestem Wissen und Gewissen massakriert zu haben, um dann auch noch 800 Volksgenossen an einer widernatürlichen, vom Bolschewisten grundlos verordneten Demarkationslinie zu verlieren.

„Und wir wissen: Vor uns liegt Deutschland, in uns marschiert Deutschland, und hinter uns kommt Deutschland!“ Hitler, 1934   

Und niemand sagt nein. Der dumme Heiner Lauterbach natürlich eh nicht, aber auch Martina Gedeck, der wir ein wenigstens resthaft linksliberales Bewußtsein zugetraut hätten, vollrohr dabei, Nadja Uhl und Natalia Wörner sowieso, vom jungen Darstellervolk zu schweigen, den Ludwig Trepte und die Henriette Confurius kennen wir ja schon aus „Unsere Mütter, unsere Väter“, und das ist die gute alte Zeit aus Ludwig und Henriette und Viktoria und Heinrich, und sie marschiert und kräht und grunzt und brunzt, und wieder hält sie keiner auf.

Stimmt zum Glück nicht. „Dreiteiler in der Kritik“, meldet focus.de. „Trotz Top-Quote: Dialekt-Debakel in ZDFs ,Tannbach’“. Weil Mödlareuth fränkisch ist, Tannbach aber bayerisch sprach. Was dann wiederum ein so schändlicher Verrat an Heimat und Scholle ist, daß ein notabene aus Akademiker- oder wenigstens Abiturientenhand stammender, agrammatischer Dummsatzhammer wie „Dialekt-Debakel in ZDFs ,Tannbach’“ gottlob nicht auffällt. Denn daß alles immer schlimmer wird, versteht sich auch im neuen Jahr von selbst.

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Schönes altes Jahr

Das Schönste an der Zeit zwischen den Jahren sind die Radionachrichten: In Deutschland hat’s geschneit. Irgendwo hat’s gebrannt. Die Kultur, sagt irgendwer, wird vernachlässigt. Das Wetter.

Dann zwei Meldungen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, auf den zweiten Blick aber doch. Die erste stand gestern in der Zeitung und behandelte einen deutschen Trashthriller, dessen Erfolg beim Lesepublikum sich B. Graff in der SZ allein mit der „durchgehend wie unbekümmert vorgetragenen Brutalität“ erklären kann: „Für die immer hemmungslosere Gewalt, die in diesen Romanen dargestellt wird, ist ,Passagier 23’ nur eines von vielen Beispielen. Der Fokussierung auf den gequälten Körper entspricht in diesen Romanen eine Sprache, die mit der Brutalität und den Exzessen der Bilder“, wie wir sie aus der visuellen Popkultur längst kennen, „mithalten will. Das Stilmittel der Wahl ist die bewußt maß- und mitleidlose Überschreitung ethischer Normen und des guten Geschmacks sowieso. Der Mensch wird dabei reduziert auf ein Stück malträtiertes Fleisch. In Fitzeks Roman etwa wird eine Putzfrau gefoltert, indem man ihr eine Glasscherbe, gefolgt von einem Knebel in den Mund steckt.“

Die zweite Nachricht stammt von privat und nämlich einer Freundin, die, im Schatten der Turbobildungs-, Gymnasial- und Exzellenzrepublik BRD, angehenden Zahnarzthelferinnen berufsbildungsmäßig Englisch beibiegen soll: „Heute führte ich die ernsthafte Diskussion mit einer Schülerin, die der Ansicht war, daß Vögel vier Beine haben. Am selben Tag entschuldigt eine Schülerin ihre Freundin, die ihr Referat nicht abgeben konnte, die habe einen Termin im Nagelstudio gehabt. Sage ich, dann könne sie es ja jetzt abgeben. Sagt die Schülerin, nee, jetzt sei die ja schon im Urlaub. Als ich eine Schülerin ermahne, das Essen einzustellen, platzt eine andere heraus, die muß essen, die hat ihre Tage!“

„Mit der Differenzierung des gesellschaftlichen Gewebes wird auch die soziogene, psychische Selbstkontrollapparatur differenzierter, allseitiger und stabiler.“ Elias, 1969

Wie das zusammengeht? Durch den Umstand, daß ich über die Feiertage endlich den zweiten Band von Norbert Elias’ „Über den Prozeß der Zivilisation“ gelesen habe. Dieser Prozeß geht ca. so: Im Frühmittelalter nimmt sich noch jeder, was er braucht, mit Gewalt. Es herrscht Naturalwirtschaft, die Menschen sind noch kaum aufeinander angewiesen, denn die Ritter sind frei, und die Bauern gehören den Rittern, und wer nicht spurt, bekommt aufs Maul. Das ändert sich mit dem mählich wachsenden „Verflechtungsgrad“: Die Völker werden seßhaft, die Städte stärker, die Technik entwickelt sich, das Geld spielt eine immer größere Rolle, und der ehedem freie Ritter wird zum Söldner. Er muß, wie alle anderen auch, planen, langfristig denken, sich einfügen: „die geregelte Bewältigung aller kurzfristigen Affekte“ nennt Elias, was aller Zivilisation zugrunde liegt.

Dafür erwartet der Mensch freilich Entlohnung, und je weniger er dafür bekommt, beim Essen nicht mehr in die Suppe zu furzen, desto übler wühlen die Affekte in ihm weiter: Deswegen weidet sich die Plebs an brennenden Ketzern und zu Tode gefolterten Hexen, und fast wollen wir der Kulturindustrie dankbar sein, daß sie diese Affekte im Folterroman kanalisiert; sofern wir uns nicht darüber beunruhigen, daß diese Affekte in dem, was wir doch alle Hochzivilisation nennen, ganz offenbar da sind und ein Millionenpublikum umtreiben. Wie ja auch ein nicht unerheblicher Teil der Zeitgenossen, ob auf der Autobahn, am Handy oder sonstwie im öffentlichen Raum, seinen Affekthaushalt immer weniger unter Kontrolle hat und in jenen Schulen, für die sich die Bildungsbeilagen nicht interessieren, geradezu frühmittelalterliche Zustände herrschen.

Könnte sein, daß es die Nebenhöhlen sind, die mir Kopfweh machen, könnte aber auch sein, daß die Eliassche Gleichung zu unschön aufgeht: Zivilisation ist da, wo die Affekte unter Kontrolle sind. Wo sie es nicht sind, haben wir eben keine Zivilisation. Sondern, so nennt es Elias, eine Kriegergesellschaft. Deren Mittelalter- und Fantasyspleen so auch eine Erklärung erführe.

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Augen auf und durch

Eine Erkältung ist eine Erkältung ist eine Erkältung, aber ein Schnupfen, den man sich auf der Beerdigung der Oma zugezogen hat, und der die halbe Kita-Bronchitis, die einem seit Wochen auf die Nerven fällt, aufs lästigste ergänzt, ist erst recht nicht dazu angetan, zum „Fest“ (Gauck) und folgenden Jahresende mehr zu hoffen als ohnehin angezeigt; zumal wenn einen die Morgenzeitung ja ebenfalls noch behelligt: „Die Aktienwerte von Firmen mit Kuba-Bezug sind drastisch in die Höhe geschnellt“, und es ist natürlich schon ein wenig niederziehend, daß die eigenen erzieherischen Bemühungen so überhaupt nicht fruchten; sondern alles und jeder ständig blöder wird. Und so elend formatiert und dummforsch daherquatscht, daß wir uns einen Sack kaufen wollen und hineinhauen. „Martin Wiselksi, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell, findet die Beobachtung der amerikanischen Kollegen ,ziemlich spannend‘“, okay; bzw. immerhin nicht drastisch spannend, auch wenn das, traun, noch kommen wird.

Daß man „immer weiter“ machen müsse, war/ist die Überzeugung so unterschiedlicher Denker wie Oliver Kahn und Theodor Adorno, und wir tun es schon deshalb, weil wir nichts anderes gelernt haben und (angeblich) glückliche Menschen sind, weil wir dieses täglich dicker werdende Brett bohren dürfen, und weil wir glauben, es schuldig zu sein, der Vernunft, der Redlichkeit, aber auch den Abgehängten und Ausgebeuteten und Angeschmierten, von denen uns allenfalls ein Buchvertrag und Omas klein Häuschen trennen. „Solidarität ist keine Moralfrage“, schreibt der kommunistische Schriftsteller Dietmar Dath. „Solidarität ist statistischer Egoismus. Aus diesem Grund muß man sie herstellen, auch wo ihr Ziel unerreichbar scheint.“

„Aber nur weil etwas sehr schwer oder unwahrscheinlich ist, heißt das noch nicht, daß es zum gewollten Ziel – dem Sozialismus – einen anderen Weg gibt als eben den schweren und sehr unwahrscheinlichen.“ Dath, 2014

Es ist leicht, an derlei nicht mehr zu glauben, weil ja alles weg ist, revolutionäres Bewußtsein, die Arbeiterklasse, auch nur eine Idee von Sozialismus, und die Kritische Theorie, die ja so etwas wie ein großes melancholisches Kopfschütteln ist, hilft allemal, sich im Verhängnis mit Kfz und Bausparvertrag einzurichten. Muß man nicht, sagt Dath, dessen Bewunderung für den Genossen Lenin Pessimismus zuverlässig verhindert: Natürlich gibt es die Arbeiter noch, Bewußtsein läßt sich ändern, und es gibt auch noch eine Idee von Sozialismus/Kommunismus, gerade jetzt, wo für die Bedarfsmessung, Produktion und Verteilung doch Rechenmaschinen zur Verfügung stehen. Lest die Klassiker, es steht alles drin, aber macht nicht den Fehler, die Massen mit den Klassikern zu nerven, „lieber Forderungen stellen, statt Weltanalysen zusammenkochen, lieber auf Evidenzen herumreiten, bis es wehtut, statt Wahrsagerei betreiben.“

Wiederum leicht, das für aussichtslos zu halten, bei allem, was man über Kulturindustrie weiß (und was das Monsterhirn Dath, versteht sich, viel besser weiß); „Gegenmacht aufbauen“, du liebe Güte, mit wem denn? Und gegen Bild und Glotze? Was bleibt uns übrig: „Redet mit der Technikerin in der Riesenkläranlage, redet mit der Gynäkologin am verarmten Stadtrand, redet mit dem Call-Center-Studenten, redet mit dem Lebensmittelpacker und seiner Kollegin aus dem Gefrierbataillon, redet mit der Saatgut-Chemikerin, redet mit dem Leichtmaterialbaumalocher, mit der Truckerin, mit dem Reinigungsdienst in der Kühlabteilung des Großrechenzentrums. Zieht sie auf die richtige Seite.“

Also reden und schreiben wir weiter, der Schnupfen geht vorbei, und solange noch solche Bücher wie „Klassenkampf im Dunkeln. Zehn zeitgemäße sozialistische Übungen“ (konkret texte) erscheinen, wollen wir den Mut nicht verlieren.

Nur diese Kategorie anzeigen:Gärtners Sonntagsfrühstück Eintrag teilenEintrag per Email versenden Mit Facebook-Freunden teilen Twittern mit Google+ teilen

Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Eine Meldung (und ihre Geschichte)

„Berlin/Vorra. Die Bundesregierung hat die Brandanschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte in Vorra bei Nürnberg scharf verurteilt. Sollte sich ein fremdenfeindlicher Hintergrund bestätigen, handele es sich um ,abscheuliche Taten‘, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Freitag.“ Sollte sich ein fremdenfeindlicher Hintergrund hingegen nicht bestätigen, handelt es sich bei den Brandanschlägen auf geplante Flüchtlingsunterkünfte um eine nicht ganz so abscheuliche Tat, wie allerdings vorderhand wichtig ist festzustellen, daß Brandanschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte nicht notwendig einen fremdenfeindlichen Hintergrund haben müssen, sondern einen anderen haben können, einen fremdenfreundlichen oder landschaftspflegerischen. „Derlei Formen von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit hätten keinen Platz in Deutschland.“ Wo Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit nämlich durchaus einen Platz haben, sofern sie nicht in solchen Formen auftreten: Den Ausländer darf man hassen, aber bitte nicht anzünden, in Abwandlung eines alten Slogans: Zünd meinen Nicht-Kumpel nicht an. „Drei Häuser, in denen in Kürze Asylbewerber hätten untergebracht werden sollen, waren in der Nacht zum Freitag durch Brände stark beschädigt worden. Sie wurden zudem mit fremdenfeindlichen Parolen und Hakenkreuzen beschmiert. CSU-Chef Seehofer zeigte sich vor dem Beginn des Parteitags in Nürnberg ,erschüttert‘. Er ,verurteile diese schändliche Tat‘.“

„Ach, was war unerträglicher als die eiserne Unveränderlichkeit dieser Verhältnisse, die Festigkeit eines solchen ewigen Bergschnees?“ Jean Paul, 1802

Die nämlich nichts mit dem Beginn des Parteitags in Nürnberg zu tun hat, auf dem die weitestgehende Deutschpflicht für Kanaken ja lediglich hatte angedacht werden sollen, ein Vorschlag, dessen Nichtumsetzbarkeit freilich eingerechnet worden war: Ging ja nicht im Ernst um eine Sprach- und Sprechpolizei (und gar eine aus Bayern, Franken oder Schwaben!), sondern ums Futter für die Stammtische und alle, die sich fremd fühlen im eigenen Land, eine lt. Tagesthemen von neulich „Minderheit“, die Mehrheit sei angesichts der Flüchtlingsströme nach wie vor „hilfsbereit“, und ob der Korrespondent, der von den neuen (oder nicht so neuen) Dresdner Montagsdemos berichtete, nun das fällige „noch“ wirklich sagte oder bloß insinuierte, ich habe es vergessen; glaube aber eh zu wissen, daß die Imago vom kunterbunten Einwanderungsland BRD eine von BDI und Feuilleton ist. (Das am selben Tag, an dem die zitierte Meldung in der Zeitung stand, mit der Zeile aufmachte: „Ihr seid wir“. Gewiß.)

Die Stimmung, und sei es die latente, könnte eher jene sein, die im Spätsommer 2013 bei Leipzig, wo Asylanten in einem leerstehenden Lehrlingswohnheim Unterkunft finden sollten, die erschütternde, keinen Platz in Deutschland habende Schande von Vorra vorwegnahm: „... Bürger in Rackwitz … haben ein Flugblatt verteilt: Durch Ausländer werde das Bildungsniveau an ihrer Schule gesenkt. Die Kriminalität werde steigen. Und auf dem Weg zur Bürgerversammlung sagte eine Frau, es werde schon darüber geredet, das Problem zu lösen. Entweder das Haus werde jetzt abgefackelt oder später – dann, wenn es bewohnt ist.“

Ob hier ein fremdenfeindlicher Hintergrund (und also die übliche Schande für Deutschland) angenommen werden muß, wird von den zuständigen Stellen noch geprüft.

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bombe, Marie-Agnes Strack-Zimmermann,

was Sie als unangefochtene FDP-Dauerrednerin in der Bunten über Ihre Familie sagten: »Ich habe wunderbare Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder und den großartigsten Mann der Welt.« Schön, schön. Aber warum? Sind die alle bewaffnet?

Fragt sich mit erhobenen Händen

Ihre Titanic

 Danke, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach,

für Deinen Gesetzesentwurf, der dem Apothekensterben mit »Apotheken light« begegnen will. Das Fehlen von Fachkräften durch Quereinsteiger/innen und ungelerntes Personal auszugleichen, ist eine klasse Idee. Das klappt bei unserem Schulsystem ja auch schon hervorragend!

Einschätzung Deiner Schmerzmittelexpert/innen von Titanic

 Los, los, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)!

In einer ersten Reaktion auf das berüchtigte Sylt-Gesangsvideo sagten Sie: »Wer Nazi-Parolen wie ›Deutschland den Deutschen – Ausländer raus‹ grölt, ist eine Schande für Deutschland.«

Da es für uns alle aber nichts Wichtigeres gibt, als Schande von Deutschland fernzuhalten, sollten Sie unbedingt versuchen, mit diesen im Grunde netten jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, damit sie zusammen mit Ihrer Regierung und der oppositionellen CDU demokratische Parolen grölen wie: »Die Integrationsfähigkeit des Landes darf nicht weiter überstrapaziert werden!«

Bitte keinesfalls zögern und zaudern, sondern sofort in die Tat umsetzen, damit den echten, den bösen Nazis endlich das Wasser abgegraben wird!

Rät ganz tief unten aus der Mitte der Gesellschaft: Titanic

 Soso, Hendrik Wüst (CDU)!

Nachdem Kanzler Scholz angeregt hatte, Schwerverbrecher/innen auch nach Afghanistan abzuschieben, forderten Sie die Bundesregierung dazu auf, »in den sauren Apfel zu beißen« und baldigst mit den Taliban Kontakt aufzunehmen.

Smarter Move! Spitzen Sie also doch auf eine Kanzlerkandidatur? Stellen Sie sich vor, wie Scholz persönlich bei den Taliban vorspricht und wegen irgendeines kulturellen Fauxpas (Liedchen gepfiffen, Gattin nicht ausgepeitscht, Lyonerstückchen im Mundwinkel) ein Weilchen länger als geplant bei seinen Verhandlungspartnern bleiben darf? Und nur stückchenweise in seine Heimat entlassen wird? Wir möchten Ihnen aber natürlich keine gewissenlosen Gedanken unterstellen (außer jenen, Menschen einem islamistischen Folterregime überantworten zu wollen)!

Würde ungeachtet der Partei alle politischen Wüstlinge in die Wüste schicken: Titanic

 Was geht ab, sächsische Steuerverwaltung?

Bei der Jugend anscheinend nicht so viel – jedenfalls träumen Deinen Erhebungen zufolge, man soll es kaum für möglich halten, nicht alle Schulabsolvent/innen den großen Traum von einer Karriere in der Finanzbuchhaltung.

Um junge Menschen trotzdem für aufregende Expeditionen in die Welt der Prozentrechnung und der Pendlerpauschalen zu begeistern, hast Du Dir einen Slogan überlegt: »Lust auf ein AbenSteuer?«

Wir freuen uns also jetzt schon darauf, wie Superheld Taxman in seiner nächsten Soli-Mission allen außergewöhnlichen Belastungen trotzt und nur knapp einem mörderischen Ehegatten-Splitting entgeht! Und zwar gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass Superschurke Dr. Elster die Welt in die kalte Progression stürzt.

Schreibt Dich dieses Jahr sicher wieder ab: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Körper-Wunder Mensch

Wussten Sie schon, dass Finger- und Zehennägel den Hauptteil ihres Wachstums ausgerechnet in der Zeit, während der man nicht hinsieht, absolvieren? Man lernt nie aus …

Theobald Fuchs

 Große Schmerzen

Nachdem ich in den letzten Wochen für eine Hausarbeit historische Handschriften aufarbeiten musste, kann ich kleine Schnörkelschriften echt nicht mehr sehen. Ich habe ganz offensichtlich einen Minuskelkater.

Karl Franz

 Helmut Kohls Erbe

Endlich beginnen auch in unserem Viertel die Bauarbeiten für den Glasfaseranschluss. Bis es soweit ist, lässt die Leis ung des urzeitlich n Kupfe k bels a l rdi gs m hr de n je z wü sc n übr

Teresa Habild

 Beim Marktstand mit dem schlechten Verkäufer

»Entschuldigung, dürfte ich die zwei Gurken da hinten links haben und drei kleine Äpfel?«

»Nein!«

Laura Brinkmann

 Unterirdischer Anlagetipp

Viele Vermögende kaufen Gold oder Kunstwerke, um ihren Reichtum gegen Inflation etc. abzusichern. Dabei gäbe es Investments, die wahrlich auf die Ewigkeit verweisen: Reliquien. Reliquien wären Finanzprodukte mit Hand und Fuß, die nicht nur die Überreste der Heiligen, sondern auch das eigene Kapital konservierten. Einen Namen gäbe es auch schon für diese geniale Anlageoption: »Krypta-Währung«.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
17.07.2024 Singen, Gems Thomas Gsella
19.07.2024 Hohwacht, Sirenen-Festival Ella Carina Werner
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«