Humorkritik
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Anzügliches vorzüglich

Drei Stunden rechte Freude bereitet ein CD-Sampler namens "Freche Chansons" (Bear Family Records), mit dem der Diseuse Helen Vita (1928-2001) ein feines Denkmal gesetzt wird. Auch wenn Vita zuletzt im Rahmen einer "Drei alte Schachteln"-Tournee, flankiert von ihren Generationsgenossinnen L. Huber und B. Mira, auf der Bühne gestanden hat, wird eher das jugendlich Kecke ihrer Stimme in Erinnerung bleiben, wie es die hier neuveröffentlichten Aufnahmen der sechziger Jahre dokumentieren. Damals hatte Vita mehrere Platten mit Übersetzungen frivoler Scherzlieder aus Frankreich besungen, Einspielungen, die als gelungene Adaption französischer Chansontugenden gelten können. Beachtlich nicht allein die deutschen Nachdichtungen des Schlagertexters W. Brandin, sondern erst recht die musikalische Darbietung: Sängerin wie Arrangeure beherrschen die Kunst, mit vielerlei Nuancen in Sprechgesang bzw. Instrumentation auf die Handlung jeder Strophe einzugehen, wobei Melodie, Rhythmus und Harmonik gleichwohl nie deformiert werden, der Volksliedcharakter bleibt jederzeit gewahrt. Oft nämlich handelt sich's bei diesen Spezialitäten um scharfgemachte Varianten beliebter Kinderlieder, von "Sur le pont d'Avignon" etwa.
Das stattliche Beiheft versammelt nicht nur sämtliche Texte, sondern auch sämtliche Gerichtsurteile, denen zufolge Vita-LPs mal als jugendgefährdend verboten, mal wieder zugelassen wurden; Akten, mit denen Beiheftautor Volker Kühn die wenig originelle These belegen will, in Frankreich seien derlei Lieder Allgemeingut, während sie im spießigen Deutschland Skandal erregten. Die Liedtexte freilich widersprechen ihm - zeugen sie doch just von der Notwendigkeit, auch im Heimatland der Liebe Versteck zu spielen: Nie werden die klassischen Körperteile direkt benannt, vielmehr erscheinen sie als "Dingsda" oder "Kuckucksnest", als "Stehaufmännchen" oder "erfrorener Finger" kostümiert.
Allen Chansonfreunden sei also die Vita-Edition empfohlen; Kühn aber, der sie schon kennt, soll sich statt dessen eine beliebige einheimische Karnevalsplatte zulegen und mit ihr die Erkenntnis, daß es keineswegs die Schweinereien sind, die das französische frisierte Volkslied dem deutschen voraus hat. Sondern die Kunst, sie zu verstecken.



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